Die Todesbotschaft
Armen und drückte mich. »Ich freue mich riesig, dass du es doch noch geschafft hast!« Sie nahm meine Hand und zog mich hinter sich her Richtung Paddock, wo die Pferde im Schatten der Bäume vor sich hin dösten und mit dem Schweif lästige Fliegen vertrieben. Wir lehnten uns gegen den Zaun und sahen hinüber zu den Tieren. Kerstin strich sich ein paar Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, aus dem verschwitzten Gesicht.
»Siehst du die Fuchsstute ganz rechts? Das ist Robina.« Bei dem Stolz in Kerstins Stimme hätte man meinen können, sie selbst habe die Stute zur Welt gebracht. »Und? Was sagst du? Ist sie nicht ein Prachtexemplar?«
»Ohne jeden Zweifel!«, antwortete ich im Brustton der Überzeugung und brach gleichzeitig mit Kerstin in Lachen aus. Ich hatte noch immer keine Ahnung von Pferden.
Sie legte den Arm um meine Schultern. »Komm mit, wir setzen uns in den Garten.«
»Ist dein Vater auch zu Hause?«
»Nein, er ist nach München gefahren. Er hat irgendeinen Termin, anstatt sich wenigstens am Wochenende mal Ruhe zu gönnen. Aber wenn ich so etwas sage, schaltet er auf Durchzug.«
Der Garten war eine bunt blühende Wiese, auf der Apfel- und Mirabellenbäume standen. Unter einem weinroten Sonnenschirm hatte Kerstin einen Holztisch gedeckt. In der Mitte entdeckte ich einen Apfelkuchen, der mir sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
»Hast du den selbst gebacken?«, fragte ich, während ich mich setzte, nach der Kuchenschaufel griff und mir ein Stück nahm.
»Wozu seine Energie verschwenden, wenn es wunderbare Backmischungen gibt«, antwortete sie mit einem Grinsen, um sich gleich darauf selbst ein Stück auf den Teller zu laden.
Während ich mich mit der einen Hand über den Kuchen hermachte und mit der anderen zwei Wespen verscheuchte, erzählte Kerstin, wie sie die Fuchsstute gefunden und einen weiteren Interessenten überboten hatte. »Im kommenden Jahr werde ich sie decken lassen. Vorausgesetzt, ich finde einen passenden Hengst, einen, der noch auf natürliche Weise decken darf.«
»Wie denn sonst?«, fragte ich mit vollem Mund.
»Mit künstlicher Befruchtung. Das ist heute üblich.«
»Das heißt, die dürfen gar nicht mehr richtig?«
Sie schüttelte den Kopf und füllte uns Eistee in Gläser.
»Wie schade.«
Wir sahen uns an und grinsten. Inmitten dieser Idylle schien eine eigene Realität zu existieren. Gestern hatten wir noch einen unserer Jugendfreunde und dessen Mutter begraben. Heute schien das Leben auf diesem Hof völlig unbeeinträchtigt davon weiterzugehen.
Durstig trank ich das Glas mit dem Eistee leer. »Als du mich gestern an Carls Zimmertür erwischt hast, habe ich übrigens gelauscht«, sagte ich. »Im Nachhinein schäme ich mich fast dafür, aber …«
Kerstin winkte ab. »Wahrscheinlich war es wieder eine dieser konspirativen Sitzungen, oder? Ganz wichtig. Ganz geheim. Ich hab mir schon so etwas gedacht.« Sie hob einen Apfel vom Boden auf und suchte ihn nach Wurmstichen ab. »Mein Vater hat mich mal beim Lauschen erwischt. An das Donnerwetter erinnere ich mich heute noch. Seitdem mache ich einen Bogen um sein Arbeitszimmer, wenn die vier zusammenhocken. Meine Mutter warnt mich immer wieder und meint, die Partner stünden ständig mit einem Bein im Gefängnis. Ich soll dich übrigens herzlich von ihr grüßen, wir haben vorhin gerade telefoniert.«
Kerstins Mutter hatte sich kurz nach dem zwanzigsten Geburtstag ihrer Tochter von ihrem Mann getrennt und war seitdem nie wieder auf dem Hof gewesen. Kerstin hatte damals beschlossen, bei ihrem Vater zu bleiben. Ich war mir sicher, die Pferde waren das Zünglein an der Waage gewesen.
»Wie geht es deiner Mutter?«, fragte ich.
»Gut. Seit ein paar Monaten hat sie einen neuen Lebensgefährten. Sie scheint wirklich glücklich zu sein.«
»Was meint sie damit, die vier stünden mit einem Bein im Gefängnis?«
Kerstin zog eine Miene, als sei die Sache es eigentlich nicht wert, noch weitere Worte darüber zu verlieren. »Sie sagt oft so etwas, das nehme ich schon gar nicht mehr ernst. Wenn du mich fragst, ist das die Retourkutsche dafür, dass Vater sie damals hat beschatten lassen und so ihr Verhältnis mit ihrem Zahnarzt ans Licht kam.«
»Und du bist sicher, das ist nur so dahingesagt?«, hakte ich nach.
»Ach herrje, Finja, was ist in dieser Hinsicht schon sicher? Seien wir nicht naiv. So viel Geld verdienst du nicht, wenn du immer schön brav auf der legalen Seite bleibst.« Sie öffnete
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