Die Todesbotschaft
Klirren von Glas hörte, stand ich auf, nahm meinem Vater das Tablett ab und stellte es auf einen Beistelltisch. Er goss uns Weißwein ein, reichte mir ein Glas und setzte sich in den Sessel mir gegenüber. Er ließ den Kopf gegen die Lehne sinken, schloss die Augen und atmete hörbar aus. Einen Moment lang sah es so aus, als wären all seine Gesichtsmuskeln erschlafft. Die Erschöpfung war ihm mit einem Mal deutlich anzusehen.
»Was für ein anstrengender und trauriger Tag«, meinte er nach einer Weile und trank einen Schluck. »Ich weiß nicht, wann mich zuletzt etwas so sehr mitgenommen hat.«
»Hast du deshalb vorhin auf dem Friedhof so seltsam reagiert, Paps?«
Er hob die Augenbrauen, als verstehe er nicht, worauf ich hinauswollte.
»Dieser Brief …«
»Was ist damit?«, fragte er leichthin.
»Hat Johannes dir eigentlich erzählt, dass er auch so einen unter der Windschutzscheibe hatte?«
Mein Vater sah mich mit einem gutmütig-spöttischen Lächeln an. »Ich glaube, wenn wir uns über unsere Post austauschen würden, hätten wir viel zu tun. Meinst du nicht?« Er schwenkte den Wein in seinem Glas.
»Und von wem war nun dein Brief?«, ließ ich nicht locker.
Mit einem Räuspern beugte er sich vor, stellte sein Glas auf einen Beistelltisch und runzelte die Brauen. »Du warst ungefähr acht Jahre alt, da hast du dich fürchterlich aufgeregt, als du ein Schneckenhaus mit einer Schnecke darin in deinem Badezimmer entdeckt hattest. Du hast laut geschrien, sie gehöre nicht dorthin …«
»Amelie hatte mir die Schnecke ins Waschbecken gesetzt«, unterbrach ich ihn.
Er musterte mich mit einem vielsagenden Blick. »Was ich damit sagen will, ist, dass man manchmal Dingen eine Bedeutung beimisst, die sie nicht verdienen.« Er legte den Kopf schief. »Aber damit du das Thema mal abhaken kannst: Der Absender des Kondolenzschreibens wollte sich das Porto sparen. Du kennst ihn nicht. Zufrieden?« Er rieb sich die Hände und ließ sich zurück gegen die Lehne sinken.
»Nicht ganz«, beeilte ich mich zu sagen. »Ich verstehe nicht, warum du Beileidsbekundungen bekommst, wo doch Carls Angehörige gestorben sind. Findest du das nicht ungewöhnlich?«
»Ganz im Gegenteil. In den Augen mancher Menschen gehört sich das sogar so. Schließlich bin ich einer von Carls engsten Freunden.« Er schwieg einen Moment, während sein Blick auf mir ruhte. »Aber jetzt Schluss mit diesem Thema. Erzähl mir lieber etwas von dir. Wie willst du deine kreative Auszeit gestalten?«
Ich brauchte einen Moment, um meinen inneren Widerstand aufzulösen und diesem Wechsel zu folgen. »Erst einmal gar nicht. Ich habe meine Pläne kurzfristig über den Haufen geworfen und doch noch einen Auftrag angenommen. Eigentlich wollte ich nicht, aber dann habe ich mich breitschlagen lassen.« Mit wenigen Worten beschrieb ich ihm das Motiv für Richard Stahmers Esszimmerwand. Dabei hätte ich viel lieber etwas von meinem neuen Auftraggeber erzählt.
»Du machst dich«, sagte er mit einem stolzen Unterton und erhob sich. »Ich weiß nicht, was mit dir ist, aber ich muss jetzt schlafen gehen.« Er griff seinen Stock, kam auf mich zu und strich über meine Wange. »Gute Nacht. Schlaf gut, meine Große.«
Das Gewitter hatte der Hitze das Drückende genommen, sie jedoch mit Feuchtigkeit aufgeladen. Als ich in Rottach-Egern losfuhr, schaltete ich die Klimaanlage ein und drehte sie auf Maximum.
Nachdem sich am Tag der Beerdigung keine Gelegenheit mehr ergeben hatte, miteinander zu sprechen, hatte Kerstin am Vormittag angerufen und mich zu sich eingeladen. Sie teilte sich mit ihrem Vater ein abgelegenes, wunderschön restauriertes Bauernhaus zwischen Ostin und Eben und betrieb dort auch ihre Pferdezucht. Während ich an einigen noch bewirtschafteten Höfen und sich weit hinziehenden, hügeligen Wiesen vorbeifuhr, spielten sie auf Bayern 3 einen Song von Amy Macdonald. Ich drehte die Musik so laut, dass die Bässe in den Ohren schmerzten, und sang selbstvergessen mit. Nach den vergangenen Tagen kam es der Befreiung von einem Brustpanzer gleich.
Zwischen Holzzäunen hindurch, die die Pferdeweiden begrenzten, fuhr ich auf das Haus der Schormanns zu. Es war eines der für das Tegernseer Tal typischen Bauernhäuser, weiß, mit einem tief gezogenen Dach und Geranienkästen an den umlaufenden Holzbalkonen.
Kerstin hatte mich kommen hören. In braunen Reithosen und einem lilafarbenen Tanktop kam sie aus dem Haus gelaufen, umfing mich mit ihren kräftigen
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