Die Todesbotschaft
in ihren eingesauten Stiefeln, wie sie hingebungsvoll einer Jungkuh die Stirn kraulte.
Das Geläut der Kuhglocken begleitete uns weiter bergauf bis zu einem Bach. Dort zogen wir Stiefel und Strümpfe aus und folgten im Wasser ein Stück dem Bachlauf, bis wir zur Königsalm abbogen, wo wir uns wenig später einen Platz im Schatten sicherten. Es saßen schon etliche Wanderer um die Holztische herum. Bevor Kerstin sich in die Schlange vor der Küche stellte, um uns eine Brotzeit zu besorgen, schnappte sie sich meine Kamera, drückte sie einem der Wanderer in die Hand und bat ihn, von uns dreien ein Foto zu schießen. Wie auf Kommando schmissen wir uns in Pose und ließen uns mehrmals von ihm ablichten.
Als wir endlich unsere Brotzeit vor uns hatten, biss ich hungrig in mein Käsebrot. Nach der zweistündigen Anstrengung hätte es besser nicht schmecken können. Ich ließ meinen Blick über die anderen Tische wandern, lehnte mich dann zurück und betrachtete meine Schwester.
»Warum siehst du mich so an?«, wollte sie wissen.
»Ich frage mich immer noch, was dich bewogen hat, deinen Job in der Kanzlei zu kündigen und in die Detektei einzutreten.«
»Ich sage nur Stellschrauben der Macht«, meinte Kerstin trocken und schob sich den Rest ihres Salamibrotes in den Mund.
»Stellschrauben der Macht, so ein Blödsinn. Über den einfachsten Grund macht ihr beide euch überhaupt keine Gedanken, was? Wer soll denn die Detektei eines Tages übernehmen? Die Partner sind längst im Pensionsalter. Auch wenn derzeit noch keiner von ihnen bereit ist, kürzerzutreten – der Zeitpunkt kommt unweigerlich. Und dann? Tobias hat keine Kinder, du, Kerstin, hast nur deine Pferde im Kopf, und du«, dabei fixierte sie mich, »du würdest dort nur hinkommen, um die Wände zu bemalen. Paps hat mich doch nicht ohne Grund gedrängt, Jura zu studieren. Eine Wirtschaftsdetektei dieses Kalibers kannst du nicht ohne solch eine solide Basis führen.«
»Aber du musst auch Ahnung von der Materie haben, musst dich mit Wirtschaft auskennen, musst Bilanzen lesen können …«
»Dafür ist Adrian zuständig«, fiel sie mir ins Wort. »Außerdem bin ich lernfähig.«
»Du willst gemeinsam mit Adrian die großen vier ersetzen?« Kerstin klang skeptisch. »Ich traue euch beiden ja viel zu, aber seien wir doch realistisch: Das System, das sie über Jahrzehnte aufgebaut haben, wird sich nicht so einfach übernehmen lassen.«
Amelie ließ sich nicht beirren. Sie war der Überzeugung, die Detektei sei ein Unternehmen wie jedes andere. Und wie jedes andere müsse es die Nachfolge regeln. »Was stellt ihr euch denn vor?«, fragte sie schließlich und sah aufmerksam zwischen uns hin und her.
Ich hatte mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht, was aus der Detektei einmal würde. Und Kerstin war dafür, sie zu gegebener Zeit an die Konkurrenz zu verkaufen. Was Amelie zornig werden ließ. Nur über ihre Leiche würde die Detektei später einmal veräußert.
Ich hatte die Geister gerufen, als ich das Thema auf den Tisch brachte, und jetzt ließen sie sich nicht wieder verscheuchen. Amelie bereitete die Diskussion so schlechte Laune, dass sie vorzeitig zum Aufbruch blies und durch nichts umzustimmen war. Sie lief Kerstin und mir ein ganzes Stück voraus, bis wir sie endlich eingeholt hatten.
»Sollte eine von euch das Wort Schwangerschaftshormone auch nur in den Mund nehmen, platze ich!« Amelies Drohung entlud die Atmosphäre schlagartig und ließ uns alle drei in schallendes Gelächter ausbrechen.
Mit deutlich gedrosseltem Tempo setzten wir den Rückweg fort und unterhielten uns über unverfänglichere Themen. Kerstin beklagte ihr Single-Schicksal, das ihr von entscheidungsschwachen Männern aufgezwungen wurde. Ich berichtete von einem durchaus interessanten Mann, den ich hoffentlich bald wiedersehen würde. Und Amelie erzählte von den Diskussionen mit Adrian, der sie zu überreden versuchte, nach der Geburt des Kindes beruflich erst einmal eine Pause einzulegen.
»Oje, ich muss pinkeln, meine Blase platzt jeden Moment«, stöhnte Kerstin und unterbrach damit Amelies Empörung über Adrians ihrer Meinung nach völlig überholte Vorstellungen. Wir hatten gerade die Stelle mit den Sturmschäden passiert und tauchten wieder tiefer in den Wald. »Geht schon mal vor, ich hole euch wieder ein.«
»Wo willst du denn hier pinkeln?«, fragte ich, mich einmal um die eigene Achse drehend. Links von uns ging es steil bergab, rechts von uns steil
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