Die Todesbotschaft
durch meine Gedanken und machten mir das Herz schwer. Erst als ich mir vorstellte, Cornelia sitze an meinem Bett und halte meine Hand, fiel ich in einen unruhigen Schlaf, der bis zum Morgengrauen währte. Mit dem Erwachen der ersten Vögel schlich ich die Treppe hinunter zu der Hintertür, die in den Garten führte. Barfuß lief ich durchs Gras auf das hintere Baumhaus zu. Es war zweifellos Cornelia zu verdanken, dass die beiden windschiefen Holzbauten noch immer so gut in Schuss waren. Vermutlich hatte sie sie über die Jahre hinweg für ihre Enkelkinder erhalten. Adrian, Hubert, Kerstin, Amelie und ich hatten in den Baumhäusern einen Großteil unserer Abenteuer erlebt.
Am Fuße der alten Eiche machte ich mich daran, über das dicke Tau mit den Knoten hinaufzuklettern. Zuletzt hatte ich es vor elf Jahren erklommen. Damals war ich noch geübt darin gewesen, inzwischen musste ich immer wieder innehalten. Oben angekommen setzte ich mich in die Öffnung und erinnerte mich an den Karfreitag, an dem ich hier oben mit Adrian geschlafen hatte. Sein Bruder hatte uns erwischt, aber geschworen, uns nicht zu verraten. Ich war nach wie vor überzeugt, dass er diesen Schwur nicht gebrochen hatte. Wie Cornelia es herausgefunden hatte, war mir schleierhaft. Aber vielleicht hatte sie sich von ihren unvergleichlichen Sensoren leiten lassen und war uns heimlich gefolgt.
Ich wanderte noch weiter in meinen Erinnerungen zurück und sah uns hier oben zu fünft Streiche aushecken. Es war unsere eigene kleine Welt gewesen, zu der Erwachsene keinen Zutritt hatten. Einige Meter über dem Boden und dennoch seltsam geerdet wurde mir bewusst, zu welch starkem Fundament Erinnerungen sich fügen konnten.
Mit diesem Gefühl kehrte ich zurück ins Haus, bereitete das Frühstück vor und sagte Adrian, der kurz darauf herunterkam, dass sein Vater dringend jemanden brauchte, der sich um ihn kümmerte. Ohne tatkräftige Hilfe würde er über kurz oder lang immer mehr verwahrlosen. Vor allem sollte Adrian ihm den Autoschlüssel wegnehmen, damit er nicht auf die Idee kam, im betrunkenen Zustand zu fahren.
»Das ist zwecklos, Finja«, meinte mein Schwager resigniert. »Vater trägt die Schlüssel immer in der Hosentasche. Ein einziges Mal habe ich versucht, ihn zu bewegen, sie herauszurücken. Das war am Tag von Amelies Beerdigung. Er hat so laut gebrüllt und sich in einer Weise gebärdet, dass ich kurz davor war, einen Notarzt zu rufen. Mir ist bewusst, dass es verantwortungslos ist, aber ich kann auch nicht riskieren, dass er einen Herzinfarkt bekommt.«
»Weißt du, ob es einen Ersatzschlüssel gibt?«, fragte ich.
Er zeigte auf einen kleinen Holzkasten im Küchenregal.
»Ich schlage vor, wir nehmen später sein Auto mit und stellen es in unsere Garage. Soll dein Vater glauben, es sei gestohlen worden.«
»Er muss sich nur die Bänder von den Außenkameras ansehen, um zu wissen, wer eingestiegen und damit losgefahren ist.«
»Umso besser«, meinte ich, »mich wird er wohl kaum bei der Polizei anzeigen.«
Adrian sah mich zweifelnd an. »Finja, ich weiß nicht, ob wir das tun können. Das ist, als würden wir ihn entmündigen.«
»Das tut er schon selbst mit seiner Trinkerei. Willst du die Verantwortung übernehmen, wenn er jemanden überfährt?«
Immer noch widerstrebend stand Adrian auf und legte den Schlüssel vor mich hin.
»Hast du dir eigentlich Hartwig Brandts Adresse geben lassen?«
»Was willst du von ihm?«
»Mit ihm reden.«
»Was glaubst du, wird dieser Mann bereit sein zu sagen? Gar nichts, wenn du mich fragst.«
»Ich will ihn wenigstens sehen, ich will einen Eindruck von ihm bekommen, wissen, wie er reagiert. Das genügt vielleicht für den Anfang.«
Ich sah auf die Uhr: Um diese Zeit würde mein Vater längst im Büro und die Haushälterin in den oberen Stockwerken beschäftigt sein. »Wenn du fertig bist, fahren wir nach Rottach-Egern, und ich stelle euren Wagen in unsere Garage. Dann schließe ich die Haustür auf, damit mein Vater von der Alarmanlage per SMS informiert wird, dass ich im Haus bin. Ich gehe aber nicht hinein, sondern ziehe die Tür von außen einfach wieder zu. Der Vorplatz ist von der Straße aus nicht einzusehen. Wenn du in deinem Auto bis zur Garage fährst, lege ich mich auf die Rückbank, und du nimmst mich wieder mit hinaus, ohne dass meine Beschützer mich entdecken. Dann können wir in aller Ruhe zu Hartwig Brandt fahren.«
Obwohl Adrian meine Pläne nicht überzeugten, machte er mit. Nachdem
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