Die Todesbotschaft
wir Carls BMW in der Garage meines Vaters abgestellt hatten, fuhren wir zu einer der Hochhaussiedlungen in Neuperlach im Münchener Südosten. Während der ersten zehn Minuten unserer Fahrt blieb ich auf der Rückbank liegen und bat Adrian, ein paar Testmanöver auszuführen, um sicherzugehen, dass uns meine Beschützer nicht im Nacken saßen. Erst als ich überzeugt war, dass sie meiner Täuschung aufgesessen waren, kletterte ich auf den Beifahrersitz.
Als wir in die Straße bogen, in der Hartwig Brandt wohnte, wurde mir bewusst, dass ich genau so eine Adresse wählen würde, wollte ich in die Anonymität abtauchen. Ein Gebäude sah wie das andere aus, jedes beherbergte über hundert Wohnungen. Es dauerte einen Moment, bis wir unter unzähligen Namen den des Mitarbeiters von Tobias ausfindig machten. Ich drückte in zumutbaren Abständen mehrmals auf die Klingel, doch es geschah nichts. Gerade wollte ich es bei jemand anderem versuchen, als eine junge Mutter die Tür öffnete. Sie fragte nicht einmal, was wir im Haus wollten, sondern ging desinteressiert an uns vorbei.
Der Aufzug brachte uns in den achten Stock. Auf dem Weg über den langen Flur achtete Adrian auf die Namensschilder, während ich die unterschiedlichsten Fußmatten bestaunte. Sie kamen mir vor wie kleine rechteckige Charakterstudien ihrer Besitzer. Vor einer grauen ohne jede Abbildung blieben wir stehen. Ich legte mein Ohr an Hartwig Brandts Tür und lauschte, hörte jedoch nur die dröhnende Schlagermusik aus der angrenzenden Wohnung. Wieder klingelte ich, wieder tat sich nichts. Also probierte ich es nebenan.
»Das kannst du vergessen«, war Adrians Kommentar. »Wie soll bei dem Lärm jemand eine Klingel hören?«
Er hatte es kaum gesagt, als sich die Tür einen Spalt auftat und eine circa ein Meter sechzig große Frau mit unzähligen Altersflecken im Gesicht hindurchblinzelte. Die Musik dröhnte unvermindert weiter und erfüllte jetzt auch noch den Hausflur. Ganz offensichtlich war die alte Frau schwerhörig. Kurzerhand zog ich Zettel und Stift aus der Tasche und schrieb, wir seien auf der Suche nach ihrem Nachbarn Hartwig Brandt. Als sei dies die Zauberformel, wurde der Türspalt breiter, und sie winkte uns in ihr Wohnzimmer. Trotz ihres Alters war sie flink auf den Beinen und hatte in null Komma nichts die Musik ausgeschaltet. Mit einer einladenden Geste bat sie uns, links und rechts von ihr auf dem Sofa Platz zu nehmen. Obwohl das Zimmer mit allen möglichen Möbelstücken vollgestellt war, gab es nur diese eine Sitzgelegenheit.
In beachtlicher Lautstärke fragte ich sie, ob sie wisse, wann ihr Nachbar zurückkomme.
»Sie müssen nicht so schreien, ich bin nicht schwerhörig«, meinte sie mit einem verschmitzten Lächeln. »Meine Lieblingsstücke höre ich nur gerne laut. Der Herr Brandt hat damit zum Glück kein Problem. Aber die Frau Meilinger auf der anderen Seite – die hat es am liebsten grabesstill. Töricht, oder?« Sie drehte den Kopf von der einen zur anderen Seite und sah uns der Reihe nach vielsagend an. »Still hat man es doch noch die längste Zeit. Mein Lieblingssänger ist der Hansi Hinterseer. Den kennen Sie doch bestimmt, oder? Der …«
»Frau …?« Ich hatte ihr Klingelschild nicht gelesen.
»Kogler. Das ist mein Mädchenname, ich war nie verheiratet.« Es klang, als sei es in ihren Augen eine Leistung.
»Kennen Sie den Herrn Brandt gut, Frau Kogler?«, fragte ich.
»Ist ein netter Mann, nur viel zu viel unterwegs. Kein Wunder, dass er da keine Frau hat. Das macht ja keine mit. Die jungen schon gar nicht. Aber er sagt immer, er sei froh, überhaupt eine gute Arbeit zu haben, auch wenn es ein harter Job sei und ihm nichts geschenkt werde. Er ist Vertreter für ein Pharmaunternehmen.«
Ich nickte, als erzähle sie mir damit nichts Neues.
»Na, mir ist auch nichts geschenkt worden«, fuhr sie fort, »ich war Postbotin, aber ich war wenigstens abends immer zu Hause. Das ist nichts, wenn Sie nicht im eigenen Bett schlafen können. Sie sind noch jung, da …«
»Frau Kogler«, unterbrach ich ihr Mitteilungsbedürfnis, »wissen Sie vielleicht, wann Herr Brandt zurückkommt?«
Sie schob die Unterlippe vor und sah zum Fenster, das fast völlig von Grünpflanzen zugewuchert war. »Eigentlich müsste er längst zurück sein. So lange wie dieses Mal war er noch nie fort. Aber vielleicht ist er in einer schönen Gegend und hängt mal einen Urlaub dran. Zu gönnen wär’s ihm. Wer so viel arbeitet, muss auch
Weitere Kostenlose Bücher