Die Todesbotschaft
ihren Sachen. Und er gab ihr Unterlagen, aus denen hervorging, dass er auf ihren Namen in Hamburg eine möblierte Wohnung gemietet und ein Konto eröffnet hatte.
»Warum Hamburg?«, fragte sie ihn. Die Vorstellung von der unermesslich großen Entfernung zwischen ihr und Finja erschreckte sie zutiefst.
»Warum nicht?«, lautete seine gleichgültige Antwort, bevor er die Tür hinter sich ins Schloss zog.
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11
D rei Stunden später setzte unser Flugzeug auf der Landebahn des Münchener Flughafens auf. Adrian und ich hatten die Halle von Terminal 1 kaum durchquert, als mein Vater auf meinem Handy anrief. Ich ignorierte das Klingeln, nur um kurz darauf eine SMS von ihm zu erhalten, in der er mir vorwarf, Berlin gegen seinen ausdrücklichen Wunsch verlassen zu haben. Ich spürte, wie meine Aversion gegen diese Form der Überwachung wuchs. Auf dem Weg zum Parkhaus, wo Adrians Auto stand, hielt ich Ausschau nach meinen Beschützern. Dieses Mal war es ein Paar, das sich bereitwillig zu erkennen gab. Sie folgten uns bis zur Privatklinik Jägerwinkel.
An diesem Tag hatte ich kaum einen Blick für das schöne Ambiente, das sich von der Halle aus in jeden Winkel dieses Hauses fortzusetzen schien und vergessen machte, dass es sich um eine Klinik handelte. Am Empfang fragte ich nach meiner Mutter und ließ mich hinaus in den weitläufigen Garten dirigieren, wo ich sie an einem Tisch auf dem Rasen entdeckte.
Zuletzt hatte ich meine Mutter vor vier Tagen auf Amelies Beerdigung gesehen. Jetzt saß sie perfekt zurechtgemacht unter einem ausladenden Sonnenschirm im Garten der Klinik, vor sich am Tisch ein noch volles Glas mit Fruchtsaftschorle. Besonders jetzt nach Amelies Tod fragte ich mich, ob es überhaupt etwas gab, das diese eiserne Disziplin ins Wanken bringen konnte, ob sie noch auf ihrem Sterbebett Make-up und Designer-Kleidung tragen würde – oder ob diese Disziplin möglicherweise nur ein Halt war.
Ihr schwarzes kurzärmeliges Kleid ließ sie dünn und durchscheinend wirken. Als ich sie begrüßte und mich zu ihr setzte, hob sie nur kurz den Kopf, um ihn gleich darauf wieder zu senken. Minutenlang betrachtete ich diese Frau, die meine Tante war und deshalb wohl nie einen ernstzunehmenden Versuch unternommen hatte, meine Mutter zu werden. Aber warum hatte sie mich nicht wenigstens wie eine Tante geliebt, anstatt sich darauf zu beschränken, mich ausgewogen zu ernähren, stets nach der neuesten Mode einzukleiden, mir ein Höchstmaß an Bildung zukommen zu lassen und für mich eine Kinderfrau zu engagieren? Zu meinem großen Glück eine, die mir all das hatte geben können, wozu sie nicht fähig gewesen war. Die mich in ihren Armen gehalten hatte, wenn ich krank war. Die meine Schulaufgaben beaufsichtigt und versucht hatte, mich über den ersten Liebeskummer hinwegzutrösten.
»Was war es, was dich daran gehindert hat, mich liebzugewinnen? Habe ich meiner Mutter zu sehr geähnelt? Oder war es allein die Tatsache, dass dein Mann und deine Schwester dich betrogen haben?«
Sie sah nicht einmal hoch. Nichts in ihrem Gesicht deutete darauf hin, dass sie mir zuhörte. Dennoch war ich mir sicher, sie hatte jedes Wort mitbekommen.
»Ich war ein sechs Monate altes Baby, wie alle anderen ganz sicher rosig und mit Speckbeinchen. Und gegenüber so einem kleinen Wesen konntest du dein Herz verschließen? Wie war das möglich?«
Wie in Zeitlupe hob sie den Kopf und sah mich an. »Möchtest du nicht viel eher wissen, wie es deiner Mutter möglich war, dir ein Kissen aufs Gesicht zu drücken?« Ihre Stimme klang eine Spur verwaschen. »Ich weiß es bis heute nicht. Dabei kannte sie niemand so gut wie ich.«
»Wie war sie?«, fragte ich.
»Deine Kreativität hast du von ihr – Gesa sprühte vor Ideen. Aber sie hatte nicht deinen Biss, ließ sich oft treiben und schwänzte die Schule, wenn sie bis tief in die Nacht gemalt hatte.«
Ich wusste, es war sinnlos, trotzdem musste ich die Frage stellen. »Hast du noch Bilder, die sie gemalt hat?«
Ihr Kopfschütteln hatte etwas seltsam Zufriedenes, so als spüre sie noch nach all den Jahren die Genugtuung, sie vernichtet zu haben.
»Wie hat sie gemalt?«
»Gut genug, dass sie davon hätte leben können.«
»Und ich sollte wohl keinesfalls in Gesas Fußstapfen treten. Hast du dich deshalb geweigert, mir Farben zu kaufen? Und hast du dich deshalb so dermaßen quergestellt, als ich Kunst studieren wollte?« Ich musste mich zusammenreißen, um ihr meine Fragen nicht ins Gesicht
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