Die Todesgruft von Bally Moran
auf dem Nachttisch für das Tablett Platz zu machen.
Peggy blickte sie prüfend an. »Und? Wie geht es dir?«
»Jetzt, da ich aus dem Zimmer draußen bin, ist alles in Ordnung.«
Peggy zog den Rock hoch, streifte einen Schuh ab und setzte sich mit einem untergezogenen Bein aufs Bett. »Wieso? Was hat denn das Zimmer damit zu tun?« fragte sie und reichte Jesse einen Teller mit Broten.
»Ich hätte dir schon vorher davon erzählen sollen«, begann Jesse. »Ich kam mir nur so blöd vor. Vor allem nach dem, was der Professor und Mrs. Mullins erzählt haben.« Sie biß lustlos in eines der Brote. »Peggy, aber die beiden haben recht mit dem Schloß.«
»Was meinst du damit?«
»Irgend etwas Merkwürdiges geschieht hier. Das habe ich schon gespürt, als wir uns unten umgesehen haben. Du warst viel zu begeistert, um es zu merken. Aber... sag mal, hast du wirklich überhaupt nichts davon gespürt?«
Peggy starrte in die flehentlich auf sich gerichteten Augen und wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß die logisch denkende Jesse ihr mit solchen vagen, ja fast unglaubhaften Erklärungen kommen würde.
»Hast du nichts von der Kälte gemerkt? Das ganze Schloß ist wie ein Eiskeller; ich glaubte zu erfrieren. Nur die Küche und dieses Zimmer machen eine Ausnahme. Und da drüben«, sie deutete auf die Tür zu den anderen Zimmer, »dort bin ich dann tatsächlich beinah erfroren. Du hast es selbst gesehen, Peggy. Ich konnte mich bereits vor Kälte nicht mehr bewegen.« Ihre Stimme war immer eindringlicher geworden, als wollte sie Peggy unbedingt von der Wahrheit ihrer Worte überzeugen. Aber an dem mitleidigen Ausdruck der blauen Augen erkannte sie, daß es ihr nicht gelungen war.
»Peggy.« Jesse setzte sich aufrechter hin, ihre Stimme klang absolut normal. »Ich will mich keineswegs herausreden. Ich versuche dir nur zu erklären, daß ich Angst habe und daß du mir helfen mußt.«
»Der Arzt sagte ...«
»Ich weiß, was der Arzt gesagt hat.« Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. »Das hier hat mit meinem schlechten Nervenkostüm überhaupt nichts zu tun. Aber ich sehe schon – du glaubst mir nicht.« Sie war jetzt richtig ärgerlich. »Gut. Dann tue mir wenigstens einen Gefallen. Merke dir, daß ich mich in der Küche und in diesem Zimmer wohl fühle und sicher. Das ist alles, worum ich dich bitte. Ach ja, und daß du Glen nichts davon schreibst.«
»Wir sollten wieder abfahren, Jesse. Wenn du aber doch hierbleiben willst, sollte Glen herkommen, damit wir nicht allein sind.«
»Nein. Er braucht die Zeit für seine Recherchen in London. Ohne sie kann er das Buch nicht schreiben. Und auf jeden Fall werde ich den einen Monat hier wohnen.«
»Jesse, aber ich kann dir einfach nicht abnehmen, daß es hier spuken soll. So etwas gibt es nicht.«
Jesse starrte sie mit zusammengepreßten Lippen an. »Bitte, gedulde dich, bis wir mit dem Professor gesprochen haben.«
»Natürlich gedulde ich mich, Jesse. Aber ich kann nicht...«
»Aber so etwas kannst du nicht glauben. Nur, daß ich den Verstand verloren habe.« Jesse ließ sich zurückfallen und kehrte ihr den Rücken zu.
Peggy blickte einen langen Augenblick lang hilflos auf sie nieder. Sie hatte Jesse mit ihrer Vernunft nicht verärgern wollen. »Ich werde die Koffer heraufholen«, sagte sie endlich und ging leise hinaus, als sie keine Antwort bekam.
Es war eine ziemliche Plackerei, bis sie die schweren Koffer oben hatte. Um Jesse nicht zu stören, benutzte sie die Treppe neben dem Eingang und ging durch das leere Zimmer in ihr eigenes. Es war schon recht spät, aber die Nacht war ungewöhnlich hell, und das Schloß, das sie noch vor ein paar Stunden begeistert hatte, schien ihr plötzlich so fremd und geheimnisvoll.
Sie schleppte gerade die letzten zwei Koffer die fast dunkle Treppe hinauf, als sie es hörte. Erst ganz leise und kaum zu erkennen. Aber dann wurde es immer lauter, bis Peggy wußte, daß es die schrille wehklagende Stimme einer Frau war. Sie schien von überall herzukommen, verzweifelt und durchdringend. Angst packte Peggy, wie sie sie noch nie zuvor empfunden hatte. Eine entsetzliche Kälte durchfuhr sie, schien sie zu erdrücken und nahm ihr den Atem. Sie stand wie zu Eis erstarrt und konnte nicht sagen, ob dieser Zustand eine Ewigkeit oder nur eine Minute währte. Dann wurde das Wehklagen leiser und verstummte mit einem herzzerreißenden Aufschluchzen. Es folgte lautlose Stille. Peggy horchte angestrengt, aber
Weitere Kostenlose Bücher