Die Todesgruft von Bally Moran
die quälende Kälte und die panische Angst, die von ihr Besitz nahmen.
Peggy drehte sich rasch um und starrte verständnislos auf Jesse, die sich zitternd auf dem Boden krümmte.
Zwanzig Minuten später saß Peggy im Rosenzimmer auf dem Bettrand und blickte besorgt in Jesses blasses Gesicht. Jesse hatte die Augen geschlossen, und Peggy fragte sich, ob das nun der vom Arzt vorausgesagte Nervenzusammenbruch war. Aber der Anfall mußte auch einen physischen Grund gehabt haben. Jesse war am ganzen Körper eiskalt gewesen, als Peggy in dem leeren Zimmer neben ihr niedergekniet war. Sie hatte sofort erkannt, daß Jesse schnell in ein warmes Bett gebracht werden mußte, und sie hatte sie in das nächste Zimmer gezogen.
»Kannst du aufstehen und gehen?« hatte sie wiederholt gefragt, denn Jesse hing nicht nur schwer in ihren Armen, sondern sie war steif und zitterte entsetzlich. Erst in der Mitte des dürftig eingerichteten Raumes gelang es Jesse, die Beine zu bewegen und mitzuhelfen; schließlich konnte sie sogar laufen. Aber sie wehrte sich, als Peggy sie dort ins Bett heben wollte.
»Ins andere Zimmer.« Peggy verstand die Worte erst beim dritten Versuch. Ohne den Grund zu verstehen, hatte sie Jesse also noch ins Rosenzimmer geschleppt und ins Bett fallen lassen.
Nun lag Jesse in alle verfügbaren Decken eingewickelt in den Kissen, und nur das rote Haar und das blasse Gesicht schauten hervor. Peggy beugte sich über das Bett und überlegte, ob Mrs. Mullins beim Einkauf der zunächst notwendigsten Lebensmittel auch an einen Whisky gedacht hatte. Oder konnte sie Jesse etwas länger allein lassen und einen Kaffee aufbrühen?
In diesem Augenblick öffnete Jesse die Augen. »Rutsch ein bißchen näher«, flüsterte sie, während sie immer noch nach Luft rang. Auch das Gesicht hatte noch keine Farbe; aber wenigstens konnte sie wieder sprechen.
»Ich wollte eben rasch hinuntergehen und Kaffee machen. Vielleicht finde ich auch Whisky.«
»Nein! Nein, du mußt noch hierbleiben. Noch ein paar Minuten.«
Peggy nickte beruhigend und wartete geduldig, bis Jesse endlich leichter atmen konnte. Ab und zu öffnete Jesse die Augen, um sich zu vergewissern, daß Peggy noch da wäre.
Peggy dachte gerade, daß Jesse endlich eingeschlafen wäre, als diese mit klarer lauter Stimme bat: »Dreh die Lichter an, Peg. Alle.«
»Fühlst du dich wieder besser?« Peggy atmete auf und zog an der Kette der Nachttischlampe.
»Ja. Langsam wird mir warm unter den vielen Decken.«
Nachdem die anderen Lampen eingeschaltet waren und das Zimmer in weiches Licht hüllten, konnte Peggy feststellen, daß die tödliche Blässe aus Jesses Gesicht gewichen war.
»Jesse, laß mich jetzt gehen und nach einem Whisky suchen«, bat Peggy. »Ein Kaffee wäre vielleicht auch gut. Oder möchtest du etwas essen? Mrs. Mullins hat ja einiges für uns eingekauft.« Sie blickte auf die Armbanduhr. »Du meine Güte! Es ist ja schon nach halb zehn. Du mußt halb verhungert sein.«
»Peggy, es tut mir leid, daß ich dich so erschreckt habe.«
Peggy schwieg sofort und biß sich auf die Unterlippe. In ihrer Erleichterung, daß Jesse endlich nicht mehr so aussah, als ob sie jeden Moment sterben würde, hatte sie sich nicht mehr zusammengenommen und durch ihren überstürzten Wortschwall die eigene Nervosität verraten. Auf einmal war es Jesse, die ruhig und gefaßt wirkte.
»Wir müssen miteinander reden, Peggy« sagte sie fest, setzte sich auf und schlug einen Teil der Decken zurück. »Wie wär’s, wenn du uns ein paar Brote machst und Kaffee und alles heraufbringst. Dann können wir beim Essen über die Sache sprechen.«
Peggy zögerte. Der plötzliche Wandel war ihr an Jesse nicht ganz geheuer. Und dann sah sie Jesses Hand auf dem Bett liegen, sie hatte sie so fest zu einer Faust geballt, daß die Knöchel weiß hervorstanden. »Gut, ich beeile mich«, stimmte Peggy zu und verließ rasch das Zimmer.
So ist das also, dachte sie, als sie in der Küche das Wasser aufsetzte, Jesse will mir etwas vormachen. Sie tut so, als ob sie wieder die Ruhe selbst wäre, nur damit ich den Anfall schnell vergesse. Sie preßte die Lippen zusammen und nahm sich vor, auf der Hut zu sein.
Als sie endlich wieder vor dem Schlafzimmer stand, mußte sie die Tür mit dem Fuß aufstoßen. Das Tablett war so beladen, daß ihr auf der Wendeltreppe beinah die Hälfte heruntergefallen wäre. Jesse lag müde im Bett, doch als sie Peggy sah, richtete sie sich sofort auf und beugte sich vor, um
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