Die Todesgruft von Bally Moran
irgendwann zwischen 1766 und 1789 oder 1790 etwas geschehen sein muß, das die seltsamen Erscheinungen verursachte. Davor konnte man in dem Schloß genauso friedlich leben wie an jedem anderen Ort.«
»Aber was ist denn geschehen?« fragte Jesse ungeduldig.
Der Professor zögerte. »Das kann ich noch nicht genau sagen. Aber mit dem, was wir nunmehr aufgrund der Unterlagen und vor allem durch die von Miss Witlow gefundenen Briefe wissen, hoffe ich, daß wir auf die Wahrheit stoßen werden. Es steht fest, daß William St. More, dem das Schloß in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gehört hatte, nach 1766 nicht hier, sondern in London gelebt hat und dort auch gestorben ist. Von seinen acht Kindern war ihm nur Gerard geblieben, und der war die meiste Zeit seines Lebens in Paris oder London. Durch die Briefe wissen wir, daß Williams Witwe nach ihres Mannes Tod, also 1786, nach Bally Moran zurückgekehrt ist. Und das ist eine wichtige Tatsache.«
»Wieso? Das verstehe ich nicht.« Jesse hatte den Professor nicht aus den Augen gelassen, als ob sie seine Worte besser verstehen könnte, wenn sie sein Miene beobachtete. Doch jetzt schien sie ihm nicht folgen zu können.
»Ja, sehen Sie das nicht? Bally Moran hat von 1766 bis zur Rückkehr von Williams Witwe leergestanden. In diesen zwanzig Jahren kann es also auch keinen Spuk gegeben haben. Von Gerard St. More weiß ich, daß er 1789 hierher kam und bald wieder fortging, weil er hier nicht leben konnte. Zu diesem Zeitpunkt hat aber seine Mutter schon mindestens ein oder sogar zwei Jahre hier gelebt. Ich frage Sie, warum konnte seine Mutter hier so lange wohnen, und warum begann der Spuk erst, als Gerard kam?«
»Weil seine Mutter keine echte St. More war«, vermutete Peggy. »Wenigstens nicht durch Geburt.«
»In den folgenden zweihundert Jahren spielte diese Frage keine Rolle. Alle, die den Namen St. More trugen, schienen verflucht und konnten hier nicht leben.«
»Dann wollen Sie damit ausdrücken«, vergewisserte sich Dan, »daß alles 1789 begann. Also mit Gerards Ankunft im Schloß.«
»Ja, genau das.«
»Können Sie nun daraus etwas schließen, das Jesse helfen könnte?«
Der Professor fing zu strahlen an, und er lehnte sich vor. Offensichtlich kam nun das Sensationelle seiner Geschichte. »Erinnern Sie sich, daß uns die Briefe von Gerard nicht nur die wichtigen Daten lieferten, sondern daß wir noch etwas anderes höchst Merkwürdiges feststellten?«
»Die dunklen Augen!« rief Peggy erregt aus. »Dan, hast du sein Porträt gesehen? Es hat dunkle Augen. Und Gerard schrieb in seinem Brief, daß der neue blaue Anzug die Farbe seiner Augen »Und deshalb glaube ich«, sagte der Professor bestimmt, »daß der Gerard St. More, der 1789 nach Bally Moran zurückkehrte, ein Betrüger war. Ich nehme aber mit Sicherheit an, daß die Catherine More, die zu dieser Zeit hier lebte, die Mutter des echten Gerard gewesen ist.«
In der Küche herrschte minutenlanges Schweigen nach den Worten des Professors, und es war Dan, der als erster sprach. »Wenn Sie recht hätten, Professor, warum hat dann Catherine St. More jenen Mann nicht als Betrüger entlarvt?«
»Wahrscheinlich hätte sie’s getan, wenn er ihr die Gelegenheit dazu gelassen hätte.«
»Sie glauben, er hat sie ermordet? Und das, ohne daß jemand etwas davon gemerkt oder zumindest Verdacht geschöpft hat? Sie muß doch Diener, Freunde, Nachbarn gehabt haben? Gibt es einen Hinweis auf ihren Tod in Ihren Papieren?«
Der Professor schüttelte den Kopf. »Nichts. Das ist es ja.«
»Aber es müßte doch möglich sein, etwas darüber herauszufinden. In Kirchenmatrikeln oder in einer Familienbibel.«
»Ich habe jede dieser Möglichkeiten überprüft. Schließlich bin ich kein Anfänger«, betonte der Professor gekränkt. »Viele Kirchenbücher sind vor langer Zeit bei einem Brand vernichtet worden, und die Familienbibel hört mit 1741 auf.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer die letzte beschriebene Seite herausgerissen haben könnte?« fragte Peggy.
Des Professors Brauen sprangen förmlich in die Höhe. »Was für eine Seite?«
»Na, die Seite, die die Eintragungen nach 1741 enthalten müßte.«
»Verflixt noch mal!« Er schlug sich heftig mit der Hand gegen die Stirn. »Und das habe ich nicht gesehen? Wo ist die Bibel? Das müssen Sie mir zeigen.«
Peggy eilte hinaus und kam gleich darauf mit der aufgeschlagenen Bibel zurück. »Ich habe es auch nicht bemerkt, Professor«, tröstete sie ihn, als er
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