Die Todesgruft von Bally Moran
Einmal lehnte er sich sogar vor und nahm ihre kalte Hand in seine große warme Hand. Noch vor ein paar Tagen, als die Atmosphäre des Schlosses noch nicht ihr Selbstvertrauen empfindlich angekratzt hatte, hätte sie Dans Beurteilung bestimmt nicht angezweifelt. Aber das hatte sich erschreckend geändert, und sie wußte nicht, ob sie Dans Logik Vertrauen schenken sollte oder den Behauptungen des Professors, daß übernatürliche Dinge in Bally Moran ihr Unwesen trieben.
Und vor allem irritierte sie Jesse; deren seltsame neugewonnene Sicherheit war ihr überhaupt nicht geheuer. Sie hatte wohl das Grauen gesehen, das Jesse befallen hatte, als diese erfuhr, daß sie im Schlaf in das leere Schlafzimmer gegangen war. Aber das Grauen war im nächsten Augenblick wieder verschwunden gewesen und hatte eben dieser Sicherheit Platz gemacht, die Peggy Angst einflößte. Jesse rannte wohl fast, wenn sie die Halle durchqueren und die Treppe hinaufgehen mußte, aber sie tat es mit grimmiger Entschlossenheit, und wenn sie in die Küche kam, machte sie sich über ihre lächerliche Angst lustig und versicherte immer wieder, daß sie selbst mit Geistern leben könnte, solange sie nicht jenes Zimmer betreten müßte.
Peggy konnte es bald nicht mehr hören. Nervös suchte sie ständig nach einer neuen Beschäftigung. Sie brühte unablässig Tee oder Kaffee auf, wusch ab und verließ auch einmal die Küche mit der Entschuldigung, daß sie sich oben ein bißchen zurechtmachen wollte. Auf dem Rückweg blieb sie in der riesigen Halle stehen. Sie hatte das Gefühl, als würden die düsteren grauen Mauern sie beobachten, und sie ertappte sich, daß sie sich verstohlen umblickte und meinte, hinter der Ritterrüstung oder dem Betpult müßte ein Paar Augen lauern. Und in der Küche saß Jesse, als ob nichts geschehen wäre und hörte mit ruhigem Interesse den Ausführungen des Professors zu. Peggy konnte es nicht begreifen.
Dan sah ihr zerquältes Gesicht, als sie in die Küche trat, und stand auf. »Ach, Professor, während Sie und Jesse sich unterhalten, könnten Peggy und ich eigentlich mal nach dem Generator sehen. Wo finden wir ihn?«
Während er sprach, legte er den Arm um Peggy und drückte sie an sich. Ihr Kopf ging ihm kaum bis zur Schulter, und sie verschwand fast unter seinem muskulösen Arm, aber sie fühlte sich unsagbar geborgen.
Der Generator stand in einem Kellerraum, den man nur durch die Speisekammer hinter der Küche erreichen konnte. Dan leuchtete ihnen mit einer Lampe die steile Treppe hinunter, und Peggy starrte mit Abscheu auf die feuchten Felsenwände des gewölbeartigen Raumes, der einst als Schloßküche gedient haben mußte und jetzt neben dem riesigen Steinherd den Generator beherbergte. Sie kam sich vor, als ob sie in einer Gruft stünde, und die klamme Kälte machte sie frösteln. Dan stellte die Lampe vor dem Generator auf den Boden, umschlang sie mit beiden Armen und blickte ihr besorgt ins Gesicht.
»Was ist mit dir los, Liebes?«
»Ach, Dan.« Die aufgestaute Nervenanspannung wollte sich beim Klang der weichen Stimme mit Tränen Luft machen. Aber sie biß sich auf die Lippe und beherrschte sich. Mit Tränen hatte sie noch nie ein Problem gelöst, das überließ sie lieber schwächeren. Und dann fühlte sie plötzlich Lippen auf ihrem Haar, auf ihren Wangen und ihrem Mund, und mit einem Schlag waren Bally Moran und Jesse vergessen. Sie spürte nur die Kraft seiner Arme und die Leidenschaft seiner Küsse, die ihr fast den Atem nahmen. Niemals zuvor hatte sie eine solch berauschende Erregung gefühlt wie in diesem langen Augenblick. Und als er sie schließlich zärtlich von sich schob, ihr sanft über das Haar strich und sie dabei forschend ansah, blickte sie ihn mit großen verwirrten Augen an. Die Überraschung über das neue Gefühl war an ihrem Gesicht abzulesen.
»Nun mußt du mir aber erzählen, was mit dir los ist«, bat er. »Gestern hast du mir noch die Augen auskratzen wollen, weil ich nichts von Gespenstern halte, aber du warst nicht so verschreckt und verängstigt wie heute. Was ist mit dir?«
Seine Worte riefen sie in die Wirklichkeit zurück: da war das unheimliche Schloß, und da war Jesse, die sich benahm, als ob sie die stärksten Nerven hätte.
»Ach, Dan, es ist so vieles. Zum Beispiel Jesse. Was sagst du zu ihr? Es hat sich hier nichts geändert – im Gegenteil, es ist schlimmer geworden, und Jesse benimmt sich, als ob der Spuk ihr kaum etwas ausmache, die Kälte nicht und auch nicht
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