Die Todesliste
kämpfen.
Doch die Amerikaner verstanden die Vorschrift des paschtunwali nicht, des heiligen Gesetzes zwischen Gastgeber und Gast, das es Mullah Omar strengstens verbot, seine al-Qaida-Gäste der Gnade der Amerikaner auszuliefern. Also waren sie in sein Land eingedrungen. Deshalb hatte er gegen sie gekämpft, und er tat es weiter. Bis jetzt.
Mahmud Gul fühlte sich alt und müde. Er hatte viele Männer sterben sehen. Ein paar hatte er mit seinem eigenen Gewehr von ihrem Leiden erlöst, wenn ihre Verletzungen so schwer waren, dass sie nur noch ein paar Stunden oder Tage unter Schmerzen hätten leben können.
Er hatte britische und amerikanische Jungen getötet, aber er wusste nicht, wie viele. Seine alten Knochen taten weh, und seine Hände wurden zu Klauen. Die Hüfte, die vor vielen Jahren zerschmettert worden war, ließ ihm in den langen Bergwintern keine Ruhe. Die Hälfte seiner Familie war tot, und seine Enkel hatte er nur bei hastigen Besuchen in der Nacht sehen können, bevor das Morgengrauen ihn wieder in die Höhlen zurücktrieb.
Mahmud Gul wollte aussteigen. Dreizehn Jahre waren genug. Der Sommer kam. Er wollte in der Wärme sitzen und mit den Kindern spielen. Er wollte sich von seinen Töchtern das Essen bringen lassen, wie es sich im Alter gehörte. Also hatte er beschlossen, das Angebot der Regierung anzunehmen, ein Haus, ein paar Schafe, eine Rente, auch wenn er dafür einem Trottel von Mullah und einem maskierten Redner im Fernsehen zuhören musste.
Als der Fernseher abgeschaltet wurde und der Mullah endlos weiterredete, murmelte Mahmud Gul leise etwas auf Paschtu. Christ Hawkins saß neben ihm; er verstand die Sprache, aber nicht den ländlichen Dialekt von Ghasni. Er glaubte zwar, richtig gehört zu haben, war sich jedoch nicht sicher. Als der Vortrag schließlich zu Ende war und der Mullah zu seinem Auto und seinen Bodyguards zurückgeeilt war, wurde Tee gebracht. Stark, schwarz – und die feringhee hatten Zucker dabei, was gut war.
Captain Hawkins ließ sich neben Mahmud Gul nieder, und sie tranken in geselligem Schweigen. Dann fragte der Australier: »Was hast du gesagt, als der Vortrag zu Ende ging?«
Mahmud Gul wiederholte seine Worte. Er hatte gesagt: »Ich kenne die Stimme.«
Chris Hawkins hatte noch zwei Tage in Ghasni zu verbringen und woanders ein weiteres Reintegrationstreffen zu absolvieren. Dann würde er nach Kabul zurückkehren. Er hatte einen Freund in der britischen Botschaft, von dem er ziemlich sicher war, dass er dem geheimen Nachrichtendienst, dem MI6, angehörte. Vielleicht sollte er ihm davon erzählen.
Ariel hatte recht mit seiner Einschätzung des Trolls. Der Iraki aus Manchester war von überwältigender Arroganz. Im Cyberspace war er der Beste, und das wusste er. In dieser Welt trug alles, was er in die Hand nahm, den Stempel der Perfektion. Darauf bestand er. Es war sein Markenzeichen.
Er zeichnete die Reden des Predigers nicht nur auf, sondern er allein schickte sie auch in die Welt hinaus, wo sie auf wer weiß wie vielen Bildschirmen verfolgt wurden. Und er organisierte den wachsenden Fanklub. Er unterzog die Mitgliedschaftsanwärter einer intensiven Prüfung, bevor er einen Kommentar von ihnen akzeptierte oder sie gar einer Antwort würdigte. Doch trotz allem bemerkte er den unauffälligen Virus nicht, der von einem dunklen kleinen Dachboden in Centreville, Virginia, in sein Programm geschleust wurde. Und wie geplant, begann der eine Woche später, seine Arbeit zu tun.
Ariels Malware bewirkte lediglich, dass die Website des Trolls verlangsamt wurde, periodisch und nur minimal. Das Resultat waren kleine Pausen in der Übertragung des Bildes, während der Prediger redete. Die winzigen Abweichungen von der Perfektion, bemerkte der Troll sofort. Das war inakzeptabel. Es ärgerte ihn, und dann machte es ihn wütend.
Er versuchte den Fehler zu korrigieren, aber ohne Erfolg. Wenn Website eins einen Fehler entwickelte hatte, schloss er, würde er Website zwei aufbauen und dorthin umziehen müssen. Das tat er, und dann musste er den Fanklub auf die neue Website umdirigieren.
Bevor er den Proxyserver einrichtete, um eine falsche IP -Adresse einzuschalten, hatte er eine echte, nämlich die IP , die als Art Mailadresse fungierte. Um den gesamten Fanklub von Website eins nach Website zwei zu verlegen, musste er über die echte IP -Adresse gehen. Das dauerte nur eine Hundertstelsekunde, vielleicht weniger. Während des Umzugs war die echte IP -Adresse für diesen
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