Die Todesliste
nehmen, der unsichtbar durch die Gegend fliegen und nach Lust und Laune Unfug treiben konnte.
Denn so mühsam Roger Kendrick sich auf dem Planeten Erde bewegte, war er doch ganz anders, wenn er vor dem berauschenden Schatz der Geräte saß, die ihm der amerikanische Steuerzahler beschafft hatte. Wie der Mann aus Fort Meade gesagt hatte – hier wurde der Junge zu einem Fliegerass am Steuerknüppel des besten Abfangjägers, den man für Geld kaufen konnte.
Zwei Tage lang studierte er die Konstruktion, die der Prediger entwickelt hatte, um seine IP -Adresse und damit seinen Aufenthaltsort zu verbergen. Er sah sich auch die Predigten an und war von Anfang an in einem Punkt sicher: Das Computergenie war nicht der maskierte Mann, der hier religiösen Hass predigte. Irgendwo war da noch jemand, sein wahrer Gegner, das feindliche Ass, mit dem er sich messen musste: geschickt, ungreifbar, fähig, jeden Fehler zu erkennen, den Ariel machte, und ihn von sich fernzuhalten.
Was niemand wusste: Ariels Cybergegner war Ibrahim Samir, ein in Großbritannien geborener Sohn irakischer Eltern, ausgebildet am Institut für Naturwissenschaft und Technologie der Universität Manchester, kurz UMIST . Kendrick nannte ihn den Troll.
Er war es, der den Proxyserver eingerichtet hatte, mit dessen falscher IP -Adresse sein Herr und Meister seinen wahren Aufenthaltsort verschleiern konnte. Aber einmal, zu Beginn des Predigt-Feldzugs, hatte es eine echte IP -Adresse gegeben, und wenn Ariel die herausgefunden hätte, würde er die Quelle überall auf der Welt ausfindig machen können.
Er sah auch sehr schnell, dass es einen Fanklub gab. Begeisterte Jünger konnten Nachrichten an den Prediger posten. Er beschloss, dem Klub beizutreten.
Ihm war klar, dass der Troll sich nicht würde täuschen lassen, wenn Ariels Alter Ego nicht bis ins Detail vollkommen wäre. Er erfand einen jungen Amerikaner namens Fahad, den Sohn jordanischer Immigranten, geboren und aufgewachsen im Raum Washington. Aber zuerst stellte er Nachforschungen an.
Er benutzte den Background des seit Langem toten Terroristen al-Zarqawi, der al-Qaida im Irak geführt hatte, bis sie dort von Special Forces und durch einen Luftangriff vernichtet worden war. Im Netz fand sich eine Fülle von biografischen Informationen. Er stammte aus dem jordanischen Dorf Zarqa. Ariel erfand ein Elternpaar aus demselben Dorf, das in derselben Straße wohnte. Auf Befragen würde er sie aufgrund der Onlineinformationen beschreiben können.
Ariel erschuf sich neu und ließ sich zwei Jahre nach der Ankunft seiner Eltern in den USA auf die Welt kommen. Er konnte die Schule beschreiben, auf die er tatsächlich gegangen war, denn dort hatte es mehrere muslimische Schüler gegeben.
Und er studierte den Islam in verschiedenen internationalen Onlinekursen, er machte sich mit der Moschee vertraut, zu der er und seine Eltern gehörten, und fand den Namen des ansässigen Imams heraus. Dann bat er um Aufnahme in den Fanklub des Predigers. Es gab Fragen – nicht vom Troll persönlich, sondern von einem anderen Jünger in Kalifornien. Ariel beantwortete sie. Ein paar Tage lang herrschte Schweigen, und dann wurde er aufgenommen. Die ganze Zeit hielt er sein eigenes Virus, seine Malware, versteckt, aber einsatzbereit.
In dem Dorf bei Ghasni, der Hauptstadt der gleichnamigen afghanischen Provinz, saßen vier Talibankämpfer in einem Backsteinbüro. Wie sie es bevorzugten, saßen sie nicht auf Stühlen, sondern auf dem Boden.
Sie hatten sich fest in ihre Gewänder und Mäntel gehüllt, denn obwohl der Mai gerade begonnen hatte, wehte immer noch ein kalter Wind von den Bergen herunter, und in dem Regierungsgebäude aus Backstein gab es keine Heizung.
Anwesend waren ebenfalls drei Regierungsbeamte aus Kabul und die beiden feringhee -Offiziere von der NATO . Die Männer aus den Bergen lächelten nicht. Sie lächelten nie. Feringhee (Foreigners, weiße, ausländische Soldaten) hatten sie bisher immer nur im Visier einer Kalaschnikow gesehen. Aber das war in einem Leben gewesen, das sie aufgeben wollten, und deshalb waren sie ins Dorf heruntergekommen.
In Afghanistan gibt es ein wenig bekanntes Programm mit dem schlichten Namen »Reintegration«. Es ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Regierung in Kabul und der NATO unter Leitung eines britischen Major General namens David Hook.
Unter den besten Köpfen herrscht seit Langem die fortschrittliche Ansicht, dass das Zählen von toten Taliban allein nie zum Sieg führen
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