Die Todesspirale
der Garage ein und ließ einen Wagen bereitstellen.
Pihko stellte keine überflüssigen Fragen, von seiner Ver-stimmung war nichts mehr zu spüren. Wir stürmten ins Treppenhaus. Lähde kam gerade mit dem Aufzug hoch, und wir zerrten ihn buchstäblich aus der Kabine, um Zeit zu gewinnen. Als wir unten ankamen, trat Schnüppchen, von meinem Herzrasen aufgeschreckt, mich so heftig in die Leber, dass ich nur mit Mühe den Brechreiz unterdrücken konnte.
Dennoch warf ich mich schwungvoll auf den Beifahrersitz, als spielte ich in einer amerikanischen Krimiserie mit, und wies Pihko an, nach Ruoholahti zu fahren. Er verlangte immer noch keine Erklärung – umso besser, denn ich musste telefonieren.
Kauko Nieminen war nicht in seiner Firma, sondern auf dem Weg zu einer geschäftlichen Besprechung. Seine Sekretärin sträubte sich zunächst. Erst als ich sie anherrschte, ich sei Polizistin, untersuche den Mord an Noora, und hier gehe es um ein zweites Menschenleben, verband sie mich mit seinem Autotelefon. Zum Glück meldete Nieminen sich sofort.
Er begann sich umständlich nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen, doch ich schnitt ihm das Wort ab.
«Das Jagdgewehr in Ihrem Wohnzimmer. Funktioniert das?»
«Ich habe es im Herbst zuletzt benutzt. Hanna will es in Reichweite haben, falls Teräsvuori überraschend angreift.
Wieso?»
«Bewahren Sie die Munition zu Hause auf?»
«Ja, ich habe einige Schachteln zu Hause. In einem verschlossenen Schrank in der Kleiderkammer neben unserem Schlafzimmer. Was …»
«Wer hat den Schlüssel, Sie oder Ihre Frau?»
«Wir haben beide einen Schlüssel. Im Schrank liegen noch ande…»
«Kann Ihre Frau die Waffe laden?»
«Ja. Sie hat mich gebeten, es ihr zu zeigen, als Teräsvuori uns besonders schlimm terrorisiert hat. Was soll das! Was ist denn passiert?»
Ich berichtete, was ich wusste, bemühte mich, die Sache nicht aufzubauschen, doch die Furcht in meiner Stimme war sicher nicht zu überhören.
«Ich komme hin!», rief Kauko Nieminen und unterbrach die Verbindung, bevor ich mich dazu äußern konnte. Na ja, seine Anwesenheit konnte wohl nicht schaden.
Wir hatten inzwischen bereits die Kreuzung in Otaniemi erreicht, denn Pihko ließ die Sirene heulen und fuhr mindestens hundertfünfzig. Er raste bei Rot über die Kreuzung, ein uralter, blauweiß lackierter Corolla konnte gerade noch ausweichen. Doch es war nicht Pihkos Fahrstil, der mein Herz rasen ließ. Lass es nicht das sein, was ich befürchte, bat ich den namenlosen Gott, an den ich zu meiner Verwunderung offenbar doch glaubte.
Der Himmel über dem Westring hatte eine eigenartige Färbung, in Ufernähe türmten sich bedrohliche, graulila ge-ränderte Wolken auf, doch die graue Wolkendecke über dem Meer zeigte hier und da Risse, durch die ein blauer Streifen schimmerte. Vielleicht lässt sich heute endlich mal die Sonne blicken, ging mir durch den Kopf, während Pihko auf der Busspur an der Autoschlange vorbeizog.
In der Itämerenkatu standen zwei Streifenwagen, einer davon mit Besatzung. Koivus ziviles Einsatzfahrzeug war leer. Ich stellte mich den Kollegen aus Helsinki vor.
«Koivu ist im Treppenhaus vor der Wohnung, er versucht zu hören, was sich drinnen abspielt. Die zweite Streife wartet im Erdgeschoss.»
«Habt ihr telefonischen Kontakt zu Teräsvuori aufgenommen?»
Da die Kollegen verneinten, tippte ich zuerst die GSM-Nummer ein, bekam jedoch keine Verbindung. Am Festtele-fon lief der Anrufbeantworter.
«Vesku hier, hallo», trällerte die heisere Stimme. Ich unterbrach die Verbindung, doch gleich darauf fiel mir ein, dass Teräsvuori möglicherweise einen dieser altmodischen Beantworter hatte, bei denen man die Nachricht direkt mithören konnte. Also drückte ich die Wahlwiederholung und hörte die ganze Litanei noch einmal.
«Hallo, Vesku, hier ist Hauptmeisterin Maria Kallio von der Espooer Kripo. Und hallo, Hanna! Wir wissen, dass du dort bist. Hör mir gut zu, Hanna! Vesku hat Noora nicht umgebracht. Er war es nicht, sein Alibi stimmt. Komm raus, Hanna! Ich …»
Ein Piepton zeigte das Ende der Sprechzeit an. Sollte ich es noch einmal probieren? Vielleicht war es sinnvoller, an der Tür zu klingeln. War der Hausmeister bereits alarmiert?
Einen Aufzug gab es nicht. Ich stellte bestimmt einen Weltrekord der im siebenten Monat Schwangeren auf, als ich in den zweiten Stock hinaufrannte. Koivu stand wartend vor der Wohnungstür, merkwürdig klein und verzagt für einen Mann von einsneunzig und
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