Die Todesspirale
sicher ist. Eine kleine Unaufmerksamkeit, ein dummer Zufall, und schon konnte alles aus sein.
Als ich in die Vähän Henttaantie einbog, wurde mir klar, dass ich im Grunde meines Herzens überzeugt war, auch Nooras Tod sei ein Zufall gewesen. Von den Drogen und der Russenmafia hatte sie sicher nichts gewusst. Bestimmt hatte ein Außenstehender sie erschlagen, vielleicht weil sie ihm keine Zigarette geben konnte oder etwas Falsches gesagt hatte. Es konnte sich auch um eine versuchte Vergewaltigung handeln. Aber wie sollte ich ohne Augenzeugen den Täter finden?
Die neuen Laborergebnisse, die für morgen versprochen waren, würden mir vielleicht weiterhelfen. Dass an Nooras Kufenschonern die Fingerabdrücke eines Vorbestraften gefunden wurden, war zwar unwahrscheinlich, aber immerhin nicht ausgeschlossen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich einen Täter nur aufgrund kriminaltechnischer Indizien überführte.
Die Lichter unseres Holzhauses blinkten anheimelnd durch den Regen. An einigen Stellen blätterte der gelbbraune Anstrich ab, der Garten wirkte noch müde vom Winter, der Rasen war erst hier und da grün geworden. Ich mochte unser kleines Haus, unser erstes gemeinsames Zuhause.
«Hast du dein Handy nicht an? Koivu hat mindestens dreimal hier angerufen, weil er dich nicht erreichen konnte», rief Antti aus dem Wohnzimmer, wo er am Klavier saß.
Ich verschlang zuerst eine halbe Banane, bevor ich das Handy hervorkramte. Der Akku war leer, kein Wunder, ich vergaß immer wieder, ihn aufzuladen. So praktisch Handys auch sind, sie setzen bei ihren Benutzern Eigenschaften voraus, die mir fehlen.
Koivus Mobiltelefon funktionierte einwandfrei.
«Na endlich!»
«Was Neues?»
«Nichts. Ich bin auf dem Parkplatz vor dem ‹Fishmaid›. Es ist saukalt und ich muss pinkeln.» Er wirkte frustriert. Offenbar hatte er nach seiner Beobachtung in der Otavantie mit aufregenden Ereignissen gerechnet.
«Teräsvuori arbeitet also?»
«Ja. Und sag jetzt bloß nicht, ich soll reingehen und Karaoke singen.»
«Da hättest du es jedenfalls wärmer. Sing doch das ‹Mär-chenschloss›», frotzelte ich, während ich den Rest der Banane aufaß, «wäre das nicht das Richtige für einen verliebten jungen Mann?»
«Leck mich!»
«Was hat Teräsvuori gemacht, nachdem er in Lauttasaari war?»
«Der Kerl in dem Lieferwagen hat ihn zur Itämerenkatu zurückgebracht. Danach hat er zu Hause gehockt und ich im Auto. Ström hat alle naselang angerufen und gewettert, weil ich keine Vernehmungen für ihn führen konnte.»
«Kümmer dich nicht um ihn. Fahr nach Hause.»
«Ich war so vergrätzt, dass ich den Koskinen angerufen hab, den Typ aus Mattinens Bande, der in der Otavantie wohnt. Ich hab ihn gefragt, ob Vesku noch bei ihm ist.»
«Was?!» Sein Alleingang schien mir bedenklich. «Wie hast du dich vorgestellt?»
«Als Pekka natürlich. Er hat nicht weiter nachgefragt, hat nur gesagt, Vesku wäre vor zehn Minuten gegangen. Nun wissen wir also definitiv, wen er besucht hat. Und erzähl mir jetzt nicht, die drei wären alte Klassenkameraden!»
Das tat ich nicht. Stattdessen lobte ich Koivu so über-schwänglich, dass er sich bereit erklärte, die Observation am nächsten Morgen fortzusetzen, während ich mir Tomi Liikanen vorknöpfen würde.
Im Wohnzimmer improvisierte Antti einen Blues in C. Vor rund drei Jahren, als wir gerade zusammengezogen waren, hatte er plötzlich festgestellt, dass ihm die klassischen Kla-vierstücke, die er fünfundzwanzig Jahre lang gespielt hatte, nicht mehr genügten. Zuerst tat er sich mit freier Begleitung und Improvisation ziemlich schwer, doch inzwischen klang er schon ganz ungezwungen. Und beim Blues konnte ich mitspielen.
Ich schloss den Bass an den Verstärker an, hängte mir das Instrument um und schob einen trägen Boogie Woogie unter Anttis Tonfiguren. Erst nach einigen Takten fanden wir einen gemeinsamen Rhythmus, doch dann trug uns die Musik mühelos.
Für einen regnerischen Frühjahrsabend war Blues genau das Richtige. Ich tänzelte in den Flur und knipste die Lampe aus. Im Dämmerlicht störten weder die Katzenhaare noch die Staubschicht auf dem Fernseher. Der Schein der Klavier-lampe verwandelte das Zimmer in eine rötliche Höhle. Die Bassfiguren trafen mal anschmiegsam, mal in Disharmonie mit der schmerzlichen Klaviermelodie zusammen.
Gemeinsames Musizieren war wie Sex, erst das Zusam-menspiel brachte den höchsten Genuss. Beim gemeinsamen Improvisieren mussten wir uns aufeinander
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