Die Todesspirale
eine einzelne Träne lief ihr über das Gesicht und zog einen Streifen blaue Wimperntusche hinter sich her. Ihre Haare, die sie ebenso straff aufgezwirbelt trug wie Ulrika Weissenberg, waren blondiert, sie wuchsen bereits dunkel nach.
«Teräsvuori hat Noora also vor dem Stadion abgepasst?»
«Ab und zu. Vor ein paar Wochen, am Muttertag, veranstaltete der ELV Espoo eine Eisshow mit Noora in der Hauptrol-le. Da ist der Kerl auch aufgetaucht und hat ihr Blumen zuge-worfen.»
«Die Show habe ich gesehen, Noora war phantastisch.»
Ohne es zu wollen, hatte ich genau das Falsche gesagt. Hanna heulte laut auf. Im Nu waren ihre Wangen blau gefärbt, und Kauko drückte ihr verstört sein Taschentuch in die Hand.
«Entschuldigen Sie, so geht das andauernd», murmelte er und wusste ganz offensichtlich nicht, wie er seine Frau beruhigen sollte.
«Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Wäre es nicht besser, wenn Ihre Frau sich eine Weile hinlegt?»
Im selben Moment klingelte das Handy, das an seinem Gürtel hing. Er war augenscheinlich erleichtert über die Unterbrechung.
«Was zum Teufel! Das kann doch nicht wahr sein! Warte kurz, ich gehe ins Nebenzimmer, die Polizei ist hier.»
Nieminen unterbrach das Gespräch, um uns zu erklären, es handle sich um eine wichtige geschäftliche Sache. Dann verschwand er und ließ uns allein mit seiner Frau zurück, deren Wimperntusche inzwischen auch das Taschentuch blau eingefärbt hatte.
Sobald er das Zimmer verlassen hatte, begann Hanna zu reden:
«Kauko gibt natürlich mir die Schuld an Nooras Tod», sagte sie hastig, als wolle sie loswerden, was sie auf dem Herzen hatte, bevor ihr Mann zurückkam. «Dabei hat er es sich selbst zuzuschreiben, dass ich mich in Vesku verliebt habe.
Ich war erst neunzehn, als wir geheiratet haben, und dann kam gleich Noora. Von meiner Jugend habe ich nicht viel gehabt. Und Kauko hat seit Jahren nichts anderes im Sinn als die Expansion seiner Firma.»
«Wie haben Sie Vesku Teräsvuori kennen gelernt?»
«Bei einem KaraokeAbend natürlich! Ich war mit ein paar Freundinnen im ‹Garden›, schließlich muss ich ja auch mal unter Leute, und nach ein paar Glas Wein hatte ich Lust zu singen. Vesku war total begeistert. Ich hätte eine schöne Stimme, hat er gesagt, und ich wäre hübsch. So etwas habe ich von Kauko seit Jahren nicht mehr gehört», flüsterte sie, als hätte sie Angst, ihr Mann würde uns belauschen.
Was dann geschah, hatte ich in den knappen Polizeiproto-kollen bereits gelesen. Zuerst eine heimliche, leidenschaft-liche Affäre, dann hatte Hanna ihre Familie verlassen. Nach zweimonatigem Zusammenleben hatte sie eingesehen, dass Vesku doch nicht ihr Traumprinz war, und war zu ihrer Familie zurückgekehrt.
«Natürlich wollte ich Vesku nicht das Herz brechen», fügte Hanna hinzu, verstummte jedoch schlagartig, als ihr Mann zurückkam.
«Es gibt irrsinnig viel zu tun, die Mädels kriegen ohne mich nichts hin! Morgen muss ich unbedingt in die Firma.
Komm doch mit, Hanna, das bringt dich auf andere Gedanken!»
«Sie arbeiten beide in Ihrem Familienbetrieb?», warf ich ein.
«Ja. Wir haben zu zweit angefangen, damals hatten wir nur zwei Lkw, und das Büro war in unserer winzigen Wohnung untergebracht. Jetzt haben wir fünfzig Fahrzeuge und zig Millionen Umsatz», erklärte Kauko Nieminen stolz. Ich erinnerte mich an Silja Taskinens Bemerkung, Noora hätte keine Probleme gehabt, ihre Sportkarriere zu finanzieren. Die Kaukospedition schien einiges abzuwerfen.
Ich erkundigte mich, wie Noora normalerweise vom Training nach Hause gekommen war. Jannes Aussage zufolge hatte sie an ihrem letzten Abend den Fußweg nach Koukkuniemi genommen. Die Eltern erklärten, diesen Weg habe sie selten gewählt, nur wenn das Training tagsüber stattfand. Im Winter, wenn die Eishockeyspieler das Stadion in Beschlag nahmen, trainierten die Eiskunstläufer entweder früh um sechs oder abends nach zehn Uhr. Manchmal hatte Hanna Nieminen den Chauffeur gespielt, an anderen Tagen hatte Janne Noora von zu Hause abgeholt und wieder zurückgebracht, gelegentlich war sie auch bei Elena Grigorieva oder ihrem Mann mitgefahren.
«Und für den Mittwochabend hatten Sie nichts vereinbart? Es hat doch fast den ganzen Tag geregnet.»
«Nein. Es war noch früh, und weit ist es ja nicht. Wahrscheinlich waren wir allmählich sorglos geworden, was Teräsvuori angeht», sagte Kauko Nieminen wütend. «Ich war um die Zeit noch in der Firma, mit den Russlandtransporten
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