Die Toechter der Familie Faraday
stärkste Band.
Sie kamen an eine Bank und setzten sich wieder. Leo legte sich die Aktentasche auf den Schoß. »Maggie, bevor ich zu Sadie fahre, möchte ich, dass du Tessas Tagebücher liest und herausfindest, was sie gelesen hat. Ich will keine Einzelheiten. Ich brauche nur die Fakten. Mit Fakten kann ich umgehen.«
»Aber das ist sehr persönlich, Leo. Wenn irgendjemand sie lesen sollte, dann Clementine oder eine der anderen.«
Er schüttelte den Kopf. »Das geht auf gar keinen Fall. Denn wer sollte die Bücher zuerst lesen? Das gäbe einen Aufstand.«
»Es hat sie aber schon eine gelesen. Nämlich Sadie.«
»Und sieh, was passiert ist. Sieh, was sie daraufhin getan hat. Ich könnte es nicht ertragen, wenn so etwas auch mit den anderen geschehen würde. Es würde mir das Herz brechen, die anderen auch so zu verstören. Wenn ich herausfinde, was Sadie gelesen hat, kann ich ihr auf derselben Ebene begegnen. Denn es wird mich ebenso verletzen wie sie.«
»Aber willst du sie denn nicht selbst lesen? Bist du denn gar nicht neugierig?«
Er schüttelte den Kopf und erzählte ihr, welche Wirkung bereits vor all den Jahren dieser eine Eintrag gehabt hatte. »Wenn ich genau wüsste, was Sadie gelesen hat, wenn ich genau wüsste, welches Tagebuch ich lesen muss, würde ich es vielleicht wagen. Aber so müsste ich alle lesen. Auch die mit den Schilderungen von ihr und Bill.«
Da verstand sie. »Wann soll ich sie denn lesen? Willst du sie mir schicken?«
»Das brauche ich nicht. Ich habe sie bei mir.« Er öffnete den Aktenkoffer. Darin lagen zwei Bündel blauer Notizbücher. Er gab ihr eines. Maggie löste vorsichtig das Gummiband und schlug das oberste Buch auf. »Tessa Faraday« stand in ausladenden Lettern auf der Innenseite, darunter das Datum. Maggie kannte die Schrift aus den Rezeptbüchern. Es versetzte ihr einen kleinen Schlag, von dieser Tessa – der fürsorglichen, das Nest bereitenden, liebenden Mutter – zu der Tessa umschalten zu müssen, die Leo gerade beschrieben hatte.
Sie schloss das Buch und legte eine Hand darauf. »Ich fürchte, du verlangst zu viel von mir.«
»Nur du kannst es lesen, Maggie. Ich kann niemanden sonst fragen.«
Maggie schwieg nachdenklich. Ihr kam ein Gespräch zwischen Miranda und Clementine bei einer der Donegal-Weihnachtsfeiern in den Sinn. »Unser Vater ist ein gerissener Fuchs«, hatte Miranda gesagt. »Er spielt zwar den Narren, aber dir ist doch klar, dass wir immer noch alle nach seiner Pfeife tanzen?«
»Das tun wir nicht. Ich bin hier, weil ich hier sein will«, hatte Clementine erwidert.
»Nein, du bist hier, weil Leo es will. Jedes Jahr nehme ich mir vor, dieses Mal ist es das letzte Mal, und ich komme immer wieder. Wie schafft er das? Wenn ich den Trick herausfinde, werde ich ihn selbst anwenden.«
Clementine hatte gelacht. »Aber das tust du doch schon, merkst du das nicht? Miranda, du bist uns doch auch ein Leben lang auf der Nase herumgetanzt.«
Hatten sie damit recht? Drehte sich wirklich alles um Leo? Er sah sie mit drängenden, beinahe schon flehentlichen Blicken an. Vor drei Monaten noch hätte sie sofort eingewilligt. Aber sie hatte sich in den letzten Wochen verändert. Die selbst auferlegte Trennung von ihrer Familie, wegen der sie nicht alles mit den anderen diskutieren konnte, nicht jede Entscheidung und jede Neuigkeit, hatte sie zu mehr Unabhängigkeit gezwungen. Wenn sie zu Leo Ja sagte, wäre das dann als liebende Enkelin, um ihm zu helfen, so wie er ihr zeit ihres Leben geholfen hatte? Oder musste sie Nein sagen, um Abstand zu wahren?
»Ich muss darüber nachdenken. Das ist sehr viel auf einmal. Sollte ich Ja sagen, wann würden wir nach Donegal fahren?«
»Möglichst bald. Juliet ist schon da. Miranda kommt Ende der Woche. Wenn du Ja sagst …« Er korrigierte sich. »Falls du Ja sagst, rufe ich Clementine und Eliza an. In dem Fall würden sie auch kommen, das weiß ich.«
Fast hatte er sie so weit. »Ich denke darüber nach. Ich sage dir morgen Bescheid, versprochen.«
»Morgen früh? Es ist nur, je eher wir Clementine und Eliza benachrichtigen, umso eher können sie ihre Flüge buchen …«
»Morgen früh.«
»Möchtest du die Tagebücher jetzt schon mitnehmen?«
Sie war in Versuchung. Natürlich würde sie furchtbar gerne die Tagebücher ihrer Großmutter lesen und erfahren, wie ihre Mutter und ihre Tanten als Kinder waren. Wer nicht? »Noch nicht«, sagte sie mit Nachdruck. »Behalt du sie, bis ich mich entschieden
Weitere Kostenlose Bücher