Die Toechter der Familie Faraday
Gabriel beugte sich vor. »Entschuldige, was hast du gesagt?«
Maggie war sehr bewusst, wie nahe er ihr war. Ihr war besonders bewusst, wie angenehm es war, ihm so nahe zu sein. Er roch wieder so gut. »Ich wollte nur sichergehen, dass dir unsere Anwesenheit nichts ausmacht.«
Er berührte sie flüchtig am Arm, auf der bloßen Haut. »Ich find’s toll, dass ihr hier seid. Wir reden später.« Er wandte sich zu Leo und sagte auch ihm kurz etwas ins Ohr. Leo lachte. Er klopfte Gabriel auf die Schulter und setzte sich dann neben Maggie.
Gabriel begann seinen Auftritt ohne großes Tamtam. Er ging einfach auf die Bühne, setzte sich und fing an zu spielen. Dass er wirklich gut Gitarre spielen konnte, hatte Maggie schon auf dem Washington Square gehört. Auch, dass er singen konnte. Er hatte eine ganz besondere Stimme. Warm, unverwechselbar, sicher. Er fing mit »Raglan Road« an, dann sang er »A Sort of Homecoming« von U2, danach »Trouble« von Ray Lamontagne und »Babylon« von David Gray. Er spielte eine rockige Version von Bob Dylans »Like a Rolling Stone«. Die Gäste hörten nach und nach auf zu sprechen und lauschten aufmerksam. Als er eine halbe Stunde später nach drei traditionellen irischen Songs aufhörte, war der Applaus kräftig und ehrlich.
»Ach, das hätte Tessa gefallen«, seufzte Leo und beugte sich vor. »Sie mochte irische Musik sehr. Was sagst du, Maggie?«
»Ich fand ihn toll.«
»Maggie fand dich toll, Gabriel, und ich auch«, sagte Leo herzlich, als Gabriel zu ihnen zurückkam. »Setz dich zu uns, ich hole dir etwas zu trinken.«
Maggie konnte ihren Großvater nicht zum zweiten Mal an die Bar gehen lassen. Sie stand auf. »Ich gehe. Whiskey? Leo? Gabriel?«
Er lächelte. »Gerne.«
An der Bar herrschte großer Andrang. Maggie kam erst nach einer Viertelstunde mit den Getränken zurück. Leo und Gabriel waren in ein Gespräch vertieft. Die Musik war zu laut, um sich in ihre Unterhaltung einzuklinken, also beobachtete Maggie die beiden. Gabriel hörte seinem älteren Gegenüber aufmerksam und mit viel Respekt zu. Er hatte lange Finger, und an seinen gebräunten Armen zeichneten sich kräftige Armmuskeln ab. Auf seinen Wangen erschienen kleine Fältchen, wenn er lächelte, und er lächelte oft. Wenn er lachte, warf er den Kopf nach hinten. Leo brachte ihn ständig zum Lachen. Dann wurde Leo ernst, Gabriel beantwortete eine Frage. Maggie wünschte, sie könnte von den Lippen lesen. Endlich wurde die Musik leiser.
Leo beugte sich zu ihr. »Gabriel war noch niemals in Irland, Maggie. Wusstest du das? In ihm fließt kein Tropfen irisches Blut, dabei hat er die Lieder wirklich gut drauf.«
»Dafür war ich in Spanien«, sagte Gabriel. »Ich habe angeblich einen spanischen Urgroßvater, also ist eine Tapas-Bar die authentischere Umgebung.«
»Da würde ich dich auch gerne mal hören. Ein andermal, hoffe ich«, sagte Leo und stand auf. »Danke, Gabriel, es war eine Ehre, dir zuhören zu dürfen.«
»Gehen wir?«, fragte Maggie enttäuscht. Sie hatte kaum ein Wort mit Gabriel gewechselt.
»Wir haben noch einen Programmpunkt, Maggie.« Er sah auf die Uhr. »Unser geduldiger Fahrer wird uns jetzt sicher jeden Moment erwarten.«
»Ihr hattet schon einen bewegten Abend, hab ich gehört«, sagte Gabriel, als Maggie ihren Schal und die Tasche nahm.
»Er hat mich ganz schön auf Trab gehalten. Er sollte sich allmählich seinem Alter entsprechend benehmen«, sagte Maggie und nutzte rasch die Gelegenheit. »Danke für deine Nachricht wegen Dolly. Das war sehr nett.«
»Wie geht es dir denn? Alles in Ordnung?«
»Ich denke schon. Und bei dir?«
Er nickte. »Ich bin nur froh, dass sie an ihrem letzten Tag einen Besucher hatte und dass du das warst. Dem würde sogar sie zustimmen, glaube ich.«
Leo wartete. »Maggie, bist du so weit?«
Impulsiv fragte sie: »Gabriel, hast du Lust mitzukommen? Ich weiß zwar nicht, wohin es geht, aber du bist herzlich willkommen, dich uns anzuschließen.«
»Das würde ich gerne, aber ich muss in zehn Minuten wieder auf die Bühne.« Er sah auf die Uhr. »Genauer gesagt, in drei Minuten.«
»Dann lassen wir dich besser in Ruhe. Ich möchte nicht, dass du hier auch noch gefeuert wirst.« Sie machte noch immer keine Anstalten zu gehen. »Es war schön, dich wiederzusehen.«
»Schön, dich zu sehen, Maggie.«
Er schüttelte Leo die Hand, berührte Maggie kurz am Arm, und fort war er.
»Was für ein reizender junger Mann«, sagte Leo, als er sich auf dem
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