Die Toechter der Familie Faraday
erneut an ihrer Tür klopfte. Es war Eliza.
»Maggie, bist du wach? Kann ich reinkommen?«
Eliza hatte niemals Alkohol benötigt, um ihren Ansichten den nötigen Ausdruck zu verleihen. Maggie wusste augenblicklich, dass sie nun einige dieser Ansichten hören würde. Sie hätte das niemals geäußert, aber von all ihren Tanten hatte sie Eliza immer am wenigsten gemocht. Es war kindisch, in solchen Kategorien zu denken, aber sie hatte immer ein leichtes Magendrücken verspürt, wenn sie zu Eliza fahren musste. Nicht dass sie grausam oder gemein zu ihr gewesen wäre. Bei ihr war es nur nie besonders lustig. Für Eliza war die Welt ein Ort, den man aushalten, und das Leben eine Phase, durch die man sich durchkämpfen musste. Als Personal Trainerin war sie schon schlimm gewesen. Seit sie Lebenscoach war, hatte sich die Menge ihrer Ratschläge und Thesen noch vervielfacht.
Sie setzte sich mit feierlicher Miene auf den Stuhl neben Maggies Bett. »Maggie, ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, aber ich mache mir Sorgen um dich, und ich hatte bislang einfach noch keine Gelegenheit, mit dir darüber zu sprechen.«
»Worüber machst du dir denn solche Sorgen?«
Eliza beugte sich vor. »Mir scheint, dass dein Leben im Moment keine Richtung hat. Du hast keine Ziele, keinen Ehrgeiz. Du hast ein großes Talent für Zahlen, Maggie, und ich fände es bitter, wenn du es verschwenden würdest. Ich wollte dir nur sagen, dass ich für dich da bin, wenn du mit mir über deine Optionen sprechen und deinen Berufsweg neu bewerten möchtest. Neue Wege erkunden und Pläne machen willst.«
Maggie war versucht, ihrer Tante zu sagen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Stattdessen überraschte sie sich selbst und ihre Tante mit einer ganz anderen Frage. »Hast du jemals irgendetwas Spontanes getan, Eliza?«
»Entschuldige?«
»Hast du jemals einen Fehler gemacht, etwas getan, was du hinterher bereut hast? Hat es dich jemals umgehauen, hast du dich jemals Hals über Kopf verliebt?«
»Warum fragst du?«
Maggie wollte es wirklich wissen. Wenn Eliza schon kam und ihr einen Vortrag hielt, wollte Maggie dabei wenigstens auch ihre eigenen Ansichten äußern. »Es ist nur, ich kenne niemanden, der so beherrscht ist wie du. So organisiert und diszipliniert. Und manchmal frage ich mich, wie es wäre, wenn du einmal aus der Rolle fallen würdest – dich auf den ersten Blick verlieben, eine vorschnelle Entscheidung treffen und alle Bedenken über Bord werfen würdest.«
Eliza gab keine Antwort.
»Entschuldige«, sagte Maggie verlegen, »das geht mich wirklich nichts an.«
»Ich vergesse nur manchmal, dass du erwachsen bist. Aber, ja, ich habe vorschnelle Entscheidungen getroffen. Alle Bedenken über Bord geworfen. Und mich verliebt. Ich bin es immer noch.«
»Du? Wirklich? Warum haben wir ihn denn nie kennengelernt?«
Eliza gab keine Antwort.
Maggie hatte eine Idee. »Es ist eine Sie?«
»Nein, es ist ein Er. Der Mann, in den ich mich vor sechsundzwanzig Jahren verliebt habe. Dreizehn Jahre davon sind wir zusammen.«
»Zusammen? Du bist verheiratet? Und von uns weiß niemand davon?«
»Man kann auch lieben, ohne zu heiraten, Maggie.«
»Aber warum bringst du ihn nie mit? Warum haben wir ihn nie kennengelernt?«
»Weil ich es nicht will. Weil das alles ändern würde. Ich will nicht euer aller Meinung über ihn hören. Ich will nicht mit ansehen müssen, wie er Leos Geschwafel erduldet, Mirandas beleidigende Kommentare, Juliets bemutterndes Getue …« Sie brach ab. »Das Risiko gehe ich nicht ein.«
»Darf ich ihn kennenlernen?«
Eliza schüttelte den Kopf. »Das brauchst du nicht. Er braucht dich auch nicht kennenzulernen.«
»Aber wir sind doch deine Familie.«
»Sicher.« In dem Moment schien Eliza bewusst zu werden, was sie gerade gesagt hatte. »Maggie, ich will nicht, dass du das den anderen erzählst. Auch nicht Clementine oder Gabriel. Ich weiß nicht einmal, warum ich es dir erzählt habe.«
»Das werde ich nicht. Versprochen.« Maggie war fassungslos. Eliza, ausgerechnet Eliza hatte eine geheime Liebesaffäre. Maggie hätte Eliza gerne mit Fragen bestürmt.
Doch es war zu spät. Eliza war wieder ganz sie selbst, sachlich und geschäftsmäßig. Sie stand auf und glättete ihren seidenen Morgenmantel. »Denk über mein Angebot nach. Wenn du über deine Karriereziele und deinen Weg sprechen möchtest, bin ich immer für dich da, okay?«
»Danke, Eliza.«
»Gerne. Schlaf gut.«
Maggie war nicht
Weitere Kostenlose Bücher