Die Toechter der Familie Faraday
Traditionen zu tun. Die Spannungen zwischen deiner Mutter und deinen Tanten. Ich habe sie alle gebeten, mir ein wenig über sich selbst zu erzählen. Ich dachte, auf diese Weise würden sie sich ein wenig lockern, aber keine hat mir die Wahrheit erzählt. Ich habe nur ›Ich bin ja so glücklich‹ gehört, ›Mein Leben ist perfekt, und Leo war ein großartiger Vater und Tessa eine wundervolle Mutter‹, aber ihre Körpersprache hat etwas ganz anderes gesagt.«
»Vielleicht macht die Kamera sie ja nervös.«
»Sie machen einander nervös, wenn du mich fragst.«
»Hast du die anderen gebeten, unterdessen nach draußen zu gehen?«
»Vorgeschlagen habe ich es, aber sie sind alle geblieben. Sie wollten alles hören.«
»Und du meinst, in dem Moment haben sie alle gelogen?«
Er nickte. »Sie haben Leo und auch einander angelogen. Den ganzen Morgen über.«
Nicht nur den ganzen Morgen, und nicht nur Leo oder einander. Sie hatten doch auch sie selbst all die Jahre belogen. Sie hatten alle gewusst, dass Sadie nicht durchgebrannt war, um Hippie zu werden. Sie hatten alle die Umstände ihres Verschwindens gekannt. Doch niemand hatte ihr jemals die Wahrheit gesagt. Wenn sie darüber lügen konnten, worüber dann noch?
Gabriel sah aus dem Fenster zur Bucht. Maggie nutzte die Gelegenheit, ihn genau zu mustern. So wütend sie auch war, sie durfte ihm eigentlich nicht böse sein. Er war schließlich nach Donegal eingeladen worden, um sie zu beobachten. Sie hatte ihm bereitwillig alles aus ihrer Kindheit, über ihre Mutter und ihre Tanten erzählt. Das, was sie in den Tagebüchern gelesen hatte, hatte sie schon genug verstört, und Gabriels Bemerkungen taten ein Übriges. Er war in sehr kurzer Zeit bis ins Herz ihrer Familie vorgedrungen. Sie stellte sich vor, wie Angus wohl auf die Ereignisse der letzten Tage reagiert hätte. Sehr schlecht, das stand fest. Er hatte sich für ihre Familie nie Zeit genommen. Gabriel war anders. Er war neugierig. Mehr als das. Es war, als ob es ihn wirklich berührte.
Er drehte sich um und erwischte sie dabei, wie sie ihn anstarrte. »Ein Königreich für deine Gedanken.«
»Ich habe über dich nachgedacht. Darüber, dass du einen sehr guten Familientherapeuten abgeben würdest, solltest du dich entscheiden, dem Putzen und den Hunden den Rücken zu kehren.«
»Wirst du jetzt sarkastisch?«
»Nein, ich meine das ernst. Du gehst bei meiner Familie sehr gründlich zu Werke.«
Er lächelte ihr zu. »Bei anderen ist das auch einfach. Aber warte, bis du meine übrige Familie kennenlernst. Du bekommst deine Revanche, das verspreche ich dir.«
Sie wurden gestört, bevor Maggie dazu kam, auf seine saloppe Bemerkung, dass er sie seiner Familie vorstellen wollte, zu reagieren.
»Na, ihr zwei Turteltäubchen.« Es war Juliet. »Cocktailstunde. Miranda besteht darauf.«
»Danke, Juliet«, sagte Maggie. »Wir kommen gleich.« Sie wartete, bis ihre Tante die quietschende Holzdiele am Ende des Flurs erreicht hatte. »Mit manchem hast du vielleicht sogar recht. Aber dass Juliet wirklich glücklich ist, weiß ich sicher. Sie hat ein tolles Leben mit ihrem Mann. Sie sind unglaublich erfolgreich, ständig auf Reisen …«
»Ich glaube, da irrst du dich.«
»Ach ja?«
Er nickte. »Wenn du mich fragst, ist Juliet von allen am unglücklichsten.«
Maggie versuchte, ihre Familie durch Gabriels Augen zu sehen. Auf den ersten Blick wirkte es wie das übliche Faraday’sche Juli-Weihnachten. Juliet hatte ganz offensichtlich seit ihrer Ankunft alles dafür vorbereitet. Das Esszimmer sah wunderschön aus. Es wurde nur von Kerzen erleuchtet, im Hintergrund spielten Weihnachtslieder, und das Kaminfeuer flackerte anheimelnd. Damit die Stimmung noch weihnachtlicher wurde, hatte sie die Rollläden heruntergelassen.
Der Tisch war mit roten Blumen, silbernem Lametta und Girlanden aus künstlichem Efeu geschmückt. Um den kleinen Weihnachtsbaum herum fand eine verkürzte Geschenkzeremonie statt, da die Hälfte von Maggies Päckchen auf dem Weg nach Australien und Singapur war. Maggie gab Gabriel eine Flasche edlen irischen Whiskeys, die sie eilig am Flughafen gekauft hatte. Leo schenkte ihm das Gleiche. Gabriel nahm beide Flaschen lächelnd entgegen und gab dann eine gleich wieder an Leo zurück.
Leo machte wie üblich aus dem Auspacken eine große Schau und zog augenblicklich alles Tragbare an – eine Krawatte von Eliza, einen Schal von Juliet, einen Ledergürtel von Clementine. Er tupfte etwas von dem Aftershave
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