Die Toechter der Familie Faraday
hellroter, geflochtener Korb mit Deckel. Er stach unter all den grauen Ordnern, Plastikdosen mit Draht, Schrauben und anderen unidentifizierbaren Gegenständen deutlich hervor.
Er hatte ihrer Mutter gehört. Sadie erinnerte sich, den Korb auf dem Nachttischchen im Schlafzimmer ihrer Eltern gesehen zu haben. Warum hatte Leo ihn hier in seinem Schuppen verborgen? Wussten ihre Schwestern davon? Sollte sie auf die anderen warten? Es ihnen erzählen, damit sie ihren Vater gemeinsam fragen konnten? Sie zögerte kurz. Sie sah zum Haus. Nichts rührte sich. Noch hatte sie Zeit.
Langsam nahm sie den Deckel ab. Obenauf lagen drei Zeitschriften. Woman’s Own von 1971, dem Jahr, in dem ihre Mutter gestorben war. Die Hefte waren wohl noch einige Monate aus England gekommen, bis jemand das Abonnement gekündigt hatte. Sadie widerstand der Versuchung hineinzuschauen. Sie legte sie beiseite und stieß auf ein Sammelbuch. Sie schlug es auf. Die Seiten waren leer. Darunter befand sich eine farbige Plastikdose. Sadie holte auch sie heraus. Es klapperte. Sie lüftete den Deckel. Im Innern waren Kleber, Schere und farbige Stifte. Sadie berührte sie sanft, die Schere, die Stifte, die ihre Mutter benutzt hatte.
Auf dem Boden des Korbs lag eine letzte Schachtel. Sadie hob sie heraus, ihr Herz schlug schneller. Sie konnte nicht sagen, warum, aber im Nachhinein wurde ihr deutlich, dass sie in dem Moment schon gewusst hatte, was die Schachtel barg: zwei Bündel mit kleinen blauen Notizbüchern. Die Tagebücher ihrer Mutter.
Sadie schaute sie lange an. Vielleicht täuschte sie sich ja. Vielleicht waren sie leer, hatte ihre Mutter diese hier nicht mehr schreiben können. Sie wischte sich die Hände an ihren Jeans ab, dann nahm sie eines der Bündel heraus und zog ein Tagebuch unter dem Gummiband hervor. »Tessa Faraday« stand in geschwungener Schrift auf dem Einband. Sadie schlug es auf. Dort prangte wieder der Namenszug ihrer Mutter. Sadie blätterte eine Seite weiter. Viele Seiten weiter. Die Schrift ihrer Mutter, auf jeder einzelnen Seite, die Worte drängten sich Sadie entgegen. Sie schloss das Tagebuch und öffnete ein weiteres. Es stammte aus einem anderen Jahr, auch hier war jede Seite randvoll beschrieben. Sadie rechnete schnell nach. Es gab neun Tagebücher. Sie schaute auf die Jahreszahlen. Jedes Buch umfasste zwei Jahre. Das erste setzte 1953 ein, das letzte in dem Jahr, in dem ihre Mutter gestorben war, 1971. Achtzehn Jahre aus dem Leben ihrer Mutter, niedergeschrieben auf diesen Seiten, hier vor ihren Augen.
Der Hund der Nachbarn zwei Häuser weiter schlug an. Eilig legte Sadie die Tagebücher zurück in die Schachtel, machte den Deckel zu, legte die Plastikdose darauf, dann die Zeitschriften, schob alles zurück in den Schrank und schloss die Tür. Ihre Hände zitterten. Sie benötigte drei Anläufe, um den Schuppen abzuschließen.
Als Miranda auf der Veranda erschien, zupfte Sadie betont geschäftig totes Laub aus dem Zitronenbaum.
»Ist Dad da?«, rief Miranda.
»Ich hab ihn nicht gesehen«, rief Sadie zurück.
»Du bist übrigens mit der Wäsche dran.«
»Mach ich nachher.«
»Vergiss es nicht.« Miranda ging zurück ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.
Sadie blieb noch einige Minuten im Garten und dachte angestrengt nach. Sie hatte vorgehabt, Miranda und all ihren Schwestern von ihrem Fund zu erzählen. Aber sie hatte sich spontan dagegen entschieden. Sie wollte es ihnen noch nicht sagen. Sie zupfte noch einige Blätter ab, dann folgte sie Miranda ins Haus.
Die anderen kamen spät heim, Leo zuletzt. Sadie war überzeugt, dass man es ihr ansah. Sie hatte das Gefühl, dass es ihr auf der Stirn geschrieben stand: »Ich hab Mums Tagebücher gefunden! Ich war im Schuppen!« Doch das Gefühl, dass es ihre Entdeckung war, ihr Geheimnis, und sie am besten gar nichts sagte, war genauso stark.
Sie verlor das Interesse daran, das Parfum zu verstecken. Als sie das nächste Mal allein zu Hause war, schob sie den Flakon in einen von Elizas Getränkebehältern in ihrer Sporttasche. Sadie eilte zum Schuppen. Sie hatte die Tagebücher kaum aus ihrem Versteck geholt, da bellte der Hund. Sie fluchte atemlos, schob alles wieder, so schnell sie konnte, an seinen Platz, schloss ab, rannte durch den Garten, über die Veranda und durch die Hintertür ins Haus. Sie hatte sich gerade auf ihr Bett geworfen, ein beliebiges Buch in der Hand, als Eliza ins Zimmer kam.
Sie sah Sadie nur kurz an. »Was hast du denn angestellt? Du
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