Die Toechter der Familie Faraday
wirklich ihr Geburtstagsthron da sein würde und ob auch wirklich alle fünfmal »Happy Birthday« singen würden, einmal für jedes Jahr – all die Faraday’schen Familienrituale. Clementine hatte an dem Abend noch lange lernen müssen und am nächsten Morgen den Wecker überhört. Als sie wach wurde, war Maggies Bett leer. Aus der Küche kam Gelächter. Sadie und Maggie saßen zusammen am Tisch. Maggie, mit einer kleinen Blumenkrone, strahlte auf ihrem Geburtstagsthron. Sie war schon angezogen. Sie musste sich die Kleider selbst ausgesucht haben – ein gelbes T-Shirt, rotes Schürzchen und blaue Hose.
»Du bist ja auch schon auf«, sagte Sadie.
Clementine ignorierte die Bemerkung, ging zu Maggie, gab ihr einen dicken Kuss, sagte fünfmal Herzlichen Glückwunsch und rückte den Blumenkranz zurecht, damit man ihre Ohren nicht so deutlich sah. Sie ärgerte sich, dass Maggie schon ein Geschenk geöffnet hatte – offenbar eines von Sadie. Ein hölzernes Puzzle. Maggie liebte Puzzles.
»Sadie hat noch ein Geschenk, Mum, eines für uns beide. Beeil dich, komm, mach’s mit mir auf.«
»Möchtest du denn nicht auf die anderen warten?«
»Nein, ich will jetzt. Sadie sagt, es ist was ganz Besonderes.«
Es war das Sammelbuch. Clementine blieb sehr ruhig, während sie mit Maggie durch die Seiten blätterte. Jedes wichtige Ereignis aus Maggies Leben war dort dokumentiert. Mit Fotografien und Zeichnungen, mit Kommentaren und Daten. Es gab zahlreiche andere Erinnerungsstücke – ein winziges Eckchen von einem Milchzahn. Ein Streifen von ihrem Gipsverband. Maggie blätterte schnell um, wies auf Bilder und zählte die Fotos.
»Siehst du die Seitenzahlen, Maggie?«, fragte Sadie. »Schau mal genau hin.«
Jede Zahl bestand aus einem dicken Umriss, darin waren kleine Zeichnungen von Dingen, die Maggie liebte, auf allen vierzig Seiten. In der Zahl Eins war eine Zeichnung von Maggies Rotem Affen. In der Zwei waren zwei kleine Kuchen zu sehen. Maggie war hingerissen. Sie achtete nicht mehr auf den Inhalt und blätterte nur noch vor und zurück, schaute sich die Zahlen an und las sie laut vor.
Alle fanden es großartig. Sadie wurde mit Komplimenten überschüttet. Niemandem fiel auf, dass Clementine nicht ganz so glücklich wirkte.
Leo hatte gewusst, dass ihn bei dem Treffen am folgenden Tag große Neuigkeiten erwarten würden. Drei seiner Töchter waren schon vorher zu ihm gekommen und hatten es ihm erzählen wollen, doch er hatte sie gebeten, damit bis zum Treffen zu warten. Er hatte schon so etwas geahnt. Immerhin war Maggies fünfter Geburtstag für sie alle ein einschneidendes Datum.
Es hatte recht normal begonnen. Maggie hatte wie üblich die Kontrolle übernommen und ihre Mutter, ihre Tanten und ihren Großvater an der Hand zu ihren Plätzen geführt. Sie hatte acht Monate zuvor damit angefangen. Erst jeden Abend nach dem Essen, dann auch bei jedem Familientreffen. Es hatte sich zu einem Ritual entwickelt. Wenn alle saßen, ging sie um den Tisch herum und zählte. Erst wenn alle anwesend und gezählt waren, durfte die Unterhaltung beginnen. Wenn jemand wagte, vorher etwas zu sagen, stampfte sie mit dem Fuß auf und weinte. Das Fußstampfen war lustig, das Weinen nicht. Ihre Stimme ging allen durch Mark und Bein.
»Ich hab euch noch nicht gezählt!«, rief sie dann wütend. »Ich muss euch doch erst noch zählen.«
Wenn Maggie zufrieden war, eröffnete Leo das Treffen. Ohne viel Aufhebens, mit einem schlichten »Wer hat Neuigkeiten?«.
Diesmal fuhren drei Hände hoch. Maggie sah einen Augenblick lang verärgert aus, dann hob auch sie die Hand.
»Dann fangen wir mit Maggie an«, sagte Leo und lächelte seine Enkelin an. »Was gibt es bei dir Neues, meine Kleine?«
Maggie ließ den Arm in der Luft. »Das ist ein Geheimnis, Tollpatsch.«
»Was denn für ein Geheimnis?«
»Ein geheimes Geheimnis.«
»Willst du es uns nicht verraten?«
Maggie schüttelte den Kopf.
»Braves Mädchen. Aus dir wird bestimmt einmal eine Spionin.« Leo wandte sich wieder an seine Töchter. »So, möchte noch jemand anfangen?«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, dann stand Miranda auf, streckte den Rücken gerade und sprach mit tiefer, verstellter Stimme: »Willkommen an Bord Ihres Fluges von Hobart nach Melbourne.«
Clementine sprang auf. »Du bist angenommen worden? Du bist dabei?«
Miranda grinste. »Ich bin dabei.«
»Bei was?«, fragte Sadie.
Miranda machte eine theatralische Verbeugung. »Ich, Miranda Faraday, bin
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