Die Toechter der Familie Faraday
hieß, Sadies Geburt war nur noch ein Tagebuch – zwei Jahre – entfernt.
Gelegentlich überkam sie das schlechte Gewissen. Nicht nur, weil sie die Tagebücher las und unerlaubterweise in Leos Schuppen ging, sondern weil sie ihr Wissen vor ihren Schwestern verheimlichte. Sie hätte es Clementine eines Nachmittags beinahe erzählt, als sie friedlich beisammen in der Küche waren. Was in letzter Zeit nicht häufig vorkam.
»Wünschst du dir immer noch, du könntest Mum fragen, wie es für sie mit Kindern war?«, hatte sie gefragt.
»Natürlich«, hatte Clementine gesagt. »Es tut mir weh, wenn ich andere Mütter mit ihren eigenen Müttern sehe. Ich würde es mir ebenso für Maggie wie für mich wünschen. Ich hätte es schön gefunden, wenn sie ihre Großmutter gekannt, all ihre Geschichten gehört hätte.«
Sadie war von Clementines Offenheit überrascht. Und ein wenig beschämt.
Beim Weiterlesen stieß Sadie auf Stellen, die für Clementine bedeutsam gewesen wären. Die Tatsache, dass Juliet bis zu ihrem vierten Lebensjahr nachts nicht durchgeschlafen hatte und Tessa fix und fertig war, erschöpft von der Arbeit mit einem kleinen Mädchen und einem Baby – Miranda – und erst recht zwei Jahre später, als Eliza auf die Welt kam und Tessa nun drei Töchter unter fünf Jahren hatte. Es gab Tage ohne einen einzigen Eintrag. Sadie las mit besonderem Vergnügen, dass Miranda ein sehr schwieriges Baby gewesen war, sich nur schwer füttern ließ und sich ständig bekleckerte. Außerdem hatten ihre Windeln am übelsten gestunken. In dem Tagebuch, das Sadie gerade las, war Eliza zwei Monate alt. Sie war ein sehr aktives Kind, hatte Sadie grinsend gelesen. »Dieses Baby strampelt und windet sich den ganzen Tag.«
Leo wurde kaum erwähnt. Er schien viel zu arbeiten, kam zum Mittagessen nach Hause und half Tessa im Haushalt, ging wieder zur Arbeit und kam dann vor sechs Uhr zum Abendessen zurück. Sie sprach kaum von seiner Stelle in einer Baumschule außerhalb Londons, stattdessen über das Wetter, über den ersten Schnee und über neue Rezepte, die sie ausprobierte. »Juliet ist in der Küche eine große Hilfe.« Sadie grinste erneut. Gelegentlich wurde Bill erwähnt, wenn er angerufen oder einen Brief geschickt hatte. Sadie versuchte, zwischen den Zeilen zu lesen. Sie irrte sich bestimmt nicht. Ihre Mutter hatte immer noch eine Schwäche für Bill.
Clementine, Juliet, Miranda und Eliza hätten das alles natürlich auch furchtbar gerne gelesen. Und sie würden es ja lesen. Nur jetzt noch nicht. Nächsten Monat vielleicht. Sadie wollte erst selbst alle Tagebücher lesen. Danach würde sie es ihren Schwestern erzählen. Wie sie wohl reagieren würden? Ob sie entscheiden würden, Leo um Erlaubnis zu bitten, oder ob sie die Bücher heimlich lesen würden? Das mussten sie untereinander ausmachen.
Im Moment las Sadie erst einmal lächelnd weiter. Denn jetzt kam der Höhepunkt. Sie kam auf die Welt.
16
Maggie war es gewöhnt, beim Einschlafen Stimmen im Flur zu hören. Meistens die ihrer Mutter und ihrer Tanten. Manchmal hatte ihre Mutter auch Besuch von Freundinnen von der Universität. Manchmal hörte sie auch Tollpatschs Stimme, wenn er einmal nicht in seinem Schuppen war.
Sie liebte den Klang ihrer Stimmen. Es machte sie glücklich. An diesem Abend waren ihr alle Stimmen vertraut. Sie sah sie alle im Geiste vor sich. Sie wusste auch, dass über sie gesprochen wurde. Ihre Mutter hatte ihr vorher gesagt, dass sie es an diesem Abend besprechen wollte, solange sie noch alle fünf zusammen waren. Zuerst aber hatte sie es mit Maggie abgeklärt, wie sie es nannte. »Wir sind ja nur zu zweit, Maggie, und darum will ich es mit dir zuerst abklären. Zwar bist du erst fünf, aber dich betrifft es schließlich am meisten.«
Maggie fand es toll, wenn ihre Mutter so mit ihr sprach. Sie fand vieles an ihrer Mutter toll. Dass sie ihr so ähnlich sah: dunkelbraunes, glattes Haar und dunkelbraune Augen. Wie sie ihr abends das Bett zurechtmachte, ihr übers Haar strich und sagte: »Erzähl mir, was du heute getan hast.« Dass ihre Mutter bloß siebzehn Jahre älter war. Sie fand es toll, dass sie so klug war, dass sie Sachen über Vögel herausfand, die noch niemand wusste, und dass sie manchmal in der Zeitung stand. Nicht in Klatschheften oder Heften mit Kochrezepten drin, wie sie die Mütter ihrer Freundinnen zu Hause hatten. Sondern in Magazinen von der Universität, mit Fotos von den Vögeln, die sie untersuchte, wegen dem, was
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