Die Toechter der Familie Faraday
wollen, das wäre vielleicht ein wenig zu früh, sie hatte sich doch gerade erst von Bill getrennt. Aber er befahl sich zu schweigen. Er wollte sie doch, mehr als alles andere.
Vier Monate später wurde geheiratet. Bill war sein Trauzeuge. »Na, wer denn sonst?«, hatte Bill gesagt. »Es macht mir wirklich nichts aus. Schließlich war ich doch der Kuppler. Wenn ich sie auch erst ein wenig eingefahren habe.«
Wut war in ihm aufgestiegen. »Sprich nie wieder so über sie.«
»Leo, jetzt komm. Es ist doch so. Ich hatte sie zuerst. An den Tatsachen ist nicht zu rütteln.«
Leo war aus dem Zimmer gegangen, bevor er etwas sagte, was er später bedauern würde.
Tessas Vorgeschichte mit Bill hatte Leos Entscheidung, alle Zelte abzubrechen und nach Tasmanien zu gehen, stark beeinflusst. Er konnte es nicht verhehlen. Er wollte Tessa möglichst weit von Bill wegbringen. Natürlich konnte er Bill nicht daran hindern, sie zu besuchen. Er wünschte nur, ihm würden die Veränderungen an Tessa, wenn Bill auf dem Weg war, nicht so auffallen. Sie strahlte. Dann hatte er eines Tages seinen Mut zusammengenommen und sie gefragt.
»Du hast doch hoffentlich nicht das Gefühl, einen Fehler gemacht und den falschen Bruder geheiratet zu haben?«
»Natürlich nicht«, hatte sie geantwortet, mit dem Lachen, das er so liebte, dem Augenaufschlag. »Mit Bill habe ich doch bloß ein wenig geübt, während ich auf dich gewartet habe.«
Er hatte ihr die Frage immer wieder stellen wollen, immer wieder die Worte hören wollen, die das ungute Gefühl auslöschten, das er hatte, wenn er die beiden bei Bills Besuchen, bei Bills Anrufen lachen hörte. Es war entsetzlich, auf den eigenen Bruder eifersüchtig zu sein. Und es hatte doch ein gutes Ende genommen, oder nicht? Er und Tessa hatten sich doch wahrhaft ineinander verliebt. Es war eine stete, reife, ernste Liebe, nicht wie das Strohfeuer, das zwischen ihr und Bill gelodert hatte. Sie hatten fünf wundervolle Töchter bekommen. Vor ihnen hatte eine großartige Zukunft gelegen, die so jäh beendet wurde.
Er konnte sich noch gut an Bills Anruf erinnern, nachdem sein Bruder von Tessas Tod erfahren hatte. Juliet war ans Telefon gegangen. Leo hatte erst Wochen später mit ihm sprechen können. Er hatte nicht hören wollen, was Bill zu sagen hatte. Er hatte Angst, dass Bill etwas erwähnen könnte, das er mit Tessa getan hatte, etwas, das Leo niemals aus seinen Gedanken verbannen könnte. Etwas, das er mit Tessa niemals wiederholen könnte. Denn das war die einzige Möglichkeit, ihre Vorgeschichte auszulöschen. Alles, was sie mit Bill unternommen hatte, unternahm Leo mit ihr auch. Wochenenden in Paris. Abendessen im teuersten Restaurant von ganz London. Zugfahrten nach Brighton. Als all das erledigt war, fühlte er sich selbstsicher genug, sein eigenes Leben mit ihr zu leben.
Sein Kontakt zu Bill beschränkte sich mittlerweile auf vereinzelte Postkarten. Bill trank zu viel. Entweder war er schon Alkoholiker oder aber auf dem besten Weg dazu. Dennoch, sollte Bill nach Hobart kommen oder Leo nach England reisen und ihn aufsuchen, würde die alte Rivalität wieder aufflackern. Eine freche Bemerkung von Bill, und Leo würde wieder zwanzig Jahre alt sein und sich von seinem Bruder die Schau stehlen lassen.
O ja, er kannte das Gefühl der Eifersucht unter Geschwistern.
Er wusste zu gut, wie es war, wenn man etwas wollte, das der Bruder oder die Schwester hatte. An Sadie sah er, was er am eigenen Leib erfahren hatte. Das war der Schatten in einer Zeit des Glücks, nach all den Jahren der Trauer. Maggie war für sie alle ein Segen, nicht nur für Clementine. Sie hatte ihnen allen so viel Freude bereitet und auch Sadies Leben eine Richtung gegeben. Das hatte ihm gefallen. Sie hatte wirklich Talent im Umgang mit Kindern. Zumindest mit ihrer Nichte.
Aber trotz alledem blieb ein ungutes Gefühl. Es hatte sich während der letzten Jahre allmählich aufgebaut. Anfangs war es nur durch Kleinigkeiten ausgelöst worden. Wenn Clementine und Maggie einen innigen Moment teilten und Sadie mit hungriger Miene zusah. Wenn Sadie Maggie neue Schuhe oder Kleider kaufte, sie zum Zahnarzt brachte, ohne das vorher mit Clementine zu besprechen.
Sie fochten einen unausgesprochenen Kampf darüber aus, wie Maggie ihr Haar trug – über die Ohren gekämmt oder nicht. Es war eine Lappalie – und Leo liebte Maggies abstehende Ohren -, aber Clementine nun einmal nicht. An Maggies Frisur erkannte er immer, bei wem sie zuletzt
Weitere Kostenlose Bücher