Die Toechter der Kaelte
warum er sich hier befand. Dann bemerkte Patrik, daß ihm die Wirklichkeit wieder zu Bewußtsein kam, und erneut sanken seine Schultern herab.
»Ich habe das Mädel nicht umgebracht«, sagte Kaj leise. »Und ich habe sie nicht angerührt, ich schwöre.«
Patrik tauschte von neuem einen Blick mit Martin und faßte dann einen Entschluß. Im Moment schienen sie nicht weiterzukommen. Hoffentlich hatten sie mehr Material in der Hand, wenn die Hausdurchsuchung und die Überprüfung von Kajs Computer abgeschlossen waren. Und wenn sie richtig großes Glück hatten, fand die Spurensicherung etwas im Badezimmer.
Kaj wurde von Martin in die Zelle zurückgebracht, und Mellberg verließ ebenfalls das Zimmer. Patrik blieb allein zurück. Er schaute auf die Uhr. Jetzt reichte es, was ihn anbetraf. Nun gedachte er nach Hause zu fahren, Erica einen Kuß zu geben und seine Nase in Majas Halsbeuge zu stecken, um ihren Duft einzuatmen. Das war wohl das einzige, was dieses klebrige Gefühl verjagen konnte, das er verspürte, nachdem er in diesem kleinen Raum mit Kaj zusammengesessen hatte. Auch das Gefühl, nicht gut genug zu sein, ließ ihn Sehnsucht nach der heimischen Geborgenheit empfinden. Wenn er das hier bloß nicht vermasselte! Solche Leute wie Kaj durften nicht frei herumlaufen. Ganz besonders nicht, wenn sie den Tod eines kleinen Mädchens auf dem Gewissen hatten.
Er war gerade auf dem Weg aus der Tür, als Annika ihn aufhielt. »Du hast Besuch, sie haben schon eine ganze Weile gewartet. Und Gösta will, so bald wie möglich, mit dir reden. Und ich habe eine Anzeige entgegengenommen, die du dir wohl ansehen solltest. Umgehend.«
Patrik seufzte und ließ die Tür wieder zugleiten. Es schien, als könnte er den Gedanken an die Heimfahrt aufgeben. Statt dessen sah es so aus, als müßte er Erica anrufen und ihr sagen, es würde spät werden. Ein Gespräch, auf das er sich wahrhaftig nicht freute.
Charlotte zögerte. Dann entschloß sie sich, atmete tief durch und drückte auf den Klingelknopf. Sie hörte es drinnen läuten.
Eine Sekunde kam ihr der Gedanke, auf dem Absatz kehrtzumachen und zu fliehen. Dann hörte sie Schritte hinter der Tür und zwang sich stehenzubleiben.
Sie erkannte sie vage wieder. Der Ort war klein genug, daß sie sich schon über den Weg gelaufen waren, und sie sah, daß die andere genau wußte, wer sie war. Nach kurzem Zögern öffnete Jeanette die Tür und trat beiseite.
Es verwunderte Charlotte, wie jung die andere aussah. Fünfundzwanzig hatte Niclas gesagt, als sie ihm mit Fragen zusetzte. Sie wußte selbst nicht, warum sie solche Details wissen wollte. Es war wie ein Urbedürfnis, ein Trieb, so viel wie möglich zu erfahren. Vielleicht, weil sie hoffte, irgendwie zu verstehen, was es war, das er suchte, was sie ihm nicht geben konnte. Und vielleicht war das auch der Grund, warum es sie mit unwiderstehlicher Kraft hierhergezogen hatte. Nie zuvor war sie einem seiner Seitensprünge direkt gegenübergetreten. Sie hatte diese Frauen sehen wollen, aber es nie gewagt. Seit Saras Tod war jedoch alles anders. Ihr war, als sei sie unverwundbar. Alle Ängste waren verschwunden. Ihr war bereits das Schlimmste zugestoßen, was einem Menschen widerfahren konnte, und vieles von dem, was sie früher gelähmt und erschreckt hatte, erschien ihr heute nur als unbedeutendes, kleines Hindernis. Nicht, daß es leicht gewesen wäre, hierherzukommen, das konnte sie nicht behaupten. Aber sie hatte es getan. Sara war tot, also tat sie es.
»Was willst du?« Jeanette sah sie abwartend an.
Charlotte kam sich im Vergleich zu ihr groß vor. Die andere war wohl nicht größer als vielleicht 1,60, und mit ihren 1,75 fühlte Charlotte sich wie eine Riesin. Jeanettes Figur hatten auch keine zwei Geburten verändert, und Charlotte konnte nicht übersehen, daß die Brüste in dem enganliegenden Top keinen BH brauchten, um straff nach oben zu zeigen. Ein Bild tauchte vor ihrem inneren Blick auf: Jeanette nackt, im Bett mit Niclas, der ihre perfekten Brüste streichelte. Sie schüttelte leicht den Kopf, um das Bild zu verjagen. Diese Art Selbstquälerei hatte sie schon viel zu viele Jahre betrieben. Jetzt behelligten sie auch diese Bilder nicht mehr auf die gleiche Weise. Sie hatte schlimmere Bilder im Kopf. Bilder von Sara, im Wasser treibend.
Charlotte zwang sich in die Wirklichkeit zurück. Sie sagte mit ruhiger Stimme: »Ich möchte ein bißchen mit dir reden. Können wir einen Kaffee trinken?«
Sie wußte nicht, ob
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