Die Toechter der Kaelte
derart rasende Wut empfunden, daß sie das Papier in Stücke riß und darauf herumtrampelte. Wie konnte er sich unterstehen, all das zu verlieren, was eines Tages ihr zukommen sollte? All das, was ihre Sicherheit, ihr Leben ausmachte.
Sie schickte ein langes Telegramm zurück, in dem sie ausführlich kundtat, was sie von ihrem Vater hielt und auf welche Weise er ihr Leben zerstört hatte.
Als eine Woche später ein Telegramm mit dem Bescheid kam, er habe sich eine Kugel in den Kopf geschossen, hatte Agnes das Blatt nur zusammengeknüllt und in den Papierkorb geworfen. Sie war weder verwundert noch erschüttert. Ihrer Meinung nach verdiente er nichts anderes.
Die darauffolgenden fahre waren schwer gewesen. Nicht genauso schwer wie jene mit Anders, aber gleichwohl ein Kampf ums Uberleben. Sie lebte jetzt lediglich durch das Wohlwollen der Männer, und als sie selbst keine eigenen Mittel mehr zur Verfügung hatte, traten an die Stelle ihrer vermögenden, wohlerzogenen Kavaliere immer schlechtere Exemplare. Die Anträge blieben gänzlich aus. Statt dessen erfolgten Angebote ganz anderer Art, und solange die Männer dafür das Ihre taten, hatte sie nicht sonderlich viel dagegen. Es schien auch, als hätte die schwere Entbindung irgend etwas beschädigt, also blieb ihr eine erneute Schwangerschaft erspart, was ihren Wert unter den kurzzeitigen Kavalieren noch erhöhte. Keiner von ihnen wollte sich durch ein Kind an sie binden, und sie selbst würde sich lieber vom Hausdach stürzen, als dieses entsetzliche Erlebnis noch einmal durchzustehen.
Das schöne Appartement hatte sie aufgeben müssen, und die neue Wohnung war bedeutend kleiner, auch dunkler, und lag weit vom Stadtkern entfernt. Dort gab es keine Partys, und das meiste ihrer Habe hatte sie verpfändet oder verkauft.
Als der Krieg kam, war alles, was schon schlecht war, noch schlechter geworden. Und zum ersten Mal, seit Agnes in Göteborg das Schiff bestiegen hatte, sehnte sie sich nach ihrer Heimat. Die Sehnsucht wandelte sich allmählich zur Entschlossenheit, und als der Krieg dann beendet war, beschloß sie heimzufahren. In New York besaß sie nichts von Wert, in Fjällbacka aber war ihr noch etwas geblieben, das sie das Ihre nannte. Nach dem großen Brand hatte ihr Vater das Grundstück gekauft, auf dem das Haus, in dem sie früher wohnte, gestanden hatte, und ein neues Gebäude war an derselben Stelle errichtet worden. Vielleicht in der Hoffnung, daß sie eines Tages zurückkehrte. Das Haus war auf ihren Namen eingetragen. All die Jahre über war es vermietet gewesen, und die Einkünfte gingen, für den Fall ihrer Heimkehr, auf ein Konto. Ein paarmal hatte sie während der letzten Jahre versucht, Zugang zu diesem Geld zu erhalten, doch vom Verwalter nur stets die Antwort bekommen, es sei vom Vater so geregelt, daß sie es nur erhielte, wenn sie ins Heimatland zurückkehrte. Damals hatte sie über das, was sie für eine Ungerechtigkeit hielt, geflucht, doch jetzt mußte sie widerstrebend zugeben, daß es vielleicht nicht so unsinnig gewesen war. Agnes hatte errechnet, daß sie mit diesem Geld zumindest ein Jahr überleben konnte, und sie hatte sich vorgenommen, in der Zwischenzeit jemanden zu finden, der ihre Versorgung übernahm.
Damit ihr das gelang, mußte sie an der Geschichte festhalten, die sie in Amerika über ihr Leben ersonnen hatte. Sie hatte alles, was sie besaß, verkauft und jede einzelne Ore für ein Kostüm allerbester Qualität und für elegantes Gepäck ausgegeben. Die Koffer waren leer, sie hatte nicht genug Geld besessen, um sie zufallen, doch das würde niemand bemerken, wenn sie an Land ging. Sie sah aus wie eine wohlhabende Dame, und sie hatte sich selbst zur Witwe eines vermögenden Mannes mit unklarer Geschäftstätigkeit erkoren. »Irgend etwas mit Finanzen«, hatte sie vor zu sagen und dann blasiert mit den Schultern zu zucken. Sie war überzeugt, es würde funktionieren. Die Leute daheim in Schweden waren so naiv und so beeindruckt von Personen, die aus dem Gelobten Land zurückkehrten. Niemandem würde es seltsam erscheinen, daß sie im Triumph heimkam. Niemand würde Verdacht schöpfen.
Der Kai war voller Menschen. Agnes wurde hin und her gestoßen, als sie, in jeder Hand einen Koffer, dort entlangging. Das Geld hatte bei weitem nicht für ein Billett Erster und auch nicht Zweiter Klasse gereicht, also würde sie wie ein Pfau zwischen den grauen Massen der Dritten Klasse hervorstechen. Sie würde mit anderen Worten niemanden
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