Die Toechter der Kaelte
zu spät war. Manchmal frage ich mich, ob er nicht noch leben könnte, wenn ich mehr darauf bestanden hätte …« Mit einem traurigen Blick in die Ferne hielt sie mitten in der Bewegung inne, die Hand mit dem Löffel in der Luft.
Stig streichelte sie und sagte sanft: »Du hast dir nichts vorzuwerfen, Lilian. Ich weiß, daß du für Lennart, als er krank war, wirklich alles getan hast, denn so bist du nun mal. Du trägst keine Schuld an seinem Tod. Und mir geht es besser, ganz sicher. Ich bin ja schon früher von allein gesund geworden, also wenn ich mich nur ausruhen darf, dann geht es schon vorbei. Bestimmt ist das nur so eine Ausgebranntheit, von der man jetzt so viel redet. Beunruhige dich nicht, du hast ja so viel anderes, was dir größere Sorgen macht.«
Lilian seufzte nickend. »Du hast wohl recht. Im Moment habe ich sehr viel zu ertragen.«
»Ja, du Ärmste. Ich wünschte, daß ich jetzt sofort gesund werden könnte, damit ich dir in der Trauer eine bessere Stütze wäre. Ja, ich trauere auch ganz furchtbar um das Mädel, und ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie es für dich sein muß. Und übrigens, wie geht es Charlotte? Es ist ein paar Tage her, daß sie hier oben war.«
»Charlotte?« sagte Lilian, und einen Augenblick lang glaubte er ein verdrossenes Aufblitzen in ihren Augen zu sehen. Doch es verschwand so schnell, daß er sich einredete, er müsse sich geirrt haben. Charlotte war doch Lilians ein und alles, sie betonte doch ständig, daß sie nur für die Tochter und ihre Familie lebte.
»Ja, Charlotte geht es besser, jedenfalls im Vergleich zu den ersten Tagen. Ich finde allerdings, sie hätte weiter was zur Beruhigung nehmen sollen. Ich verstehe nicht, warum man unbedingt alleine klarkommen will, wenn es doch so gute Arzneien gibt. Und bei ihr war Niclas ja auch bereit, Tabletten zu verschreiben, während er sie mir verweigerte. Kannst du dir so was Dummes vorstellen? Ich trauere doch auch und bin fast genauso aufgewühlt wie Charlotte. Sara war doch mein Enkelkind, oder etwa nicht?«
Lilians Stimme hatte einen scharfen, erregten Ton angenommen, doch gerade als Stig seine Stirn runzelte, änderte sie wieder den Tonfall und war erneut die liebevolle, fürsorgliche Ehefrau, die er während seiner Krankheit wahrhaftig zu schätzen gelernt hatte. Er konnte ja wohl kaum erwarten, daß sie nach all dem, was passiert war, so wie immer sein würde. Der Streß und das Leid hinterließen schließlich ihre Spuren auch bei ihr.
»So, nun sollst du dich etwas ausruhen, wo du doch so tüchtig gegessen hast«, sagte Lilian und stand auf.
Stig hielt sie mit einem leichten Winken auf. »Habt ihr noch mehr darüber erfahren, warum die Polizei Kaj abgeholt hat? Hat es mit Sara zu tun?«
»Nein, wir haben noch nichts weiter gehört. Wir sind wohl die letzten, die etwas erfahren«, schnaubte Lilian. »Aber ich hoffe, daß sie ihn richtig in die Mangel nehmen.«
Sie drehte ihm den Rücken zu und ging aus der Tür, aber tat es nicht schnell genug, um das Lächeln in ihrem Gesicht zu verbergen.
New York 1946
Das Leben »over there« war nicht so verlaufen, wie sie es erwartet hatte. Scharfe Linien der Enttäuschung hatten sich um ihren Mund und die Augen eingegraben, aber Agnes war auch im Alter von zweiundvierzig noch eine schöne Frau.
Die ersten Jahre waren wundervoll gewesen. Das Geld ihres Vaters hatte ihr einen außerordentlich guten Lebensstil garantiert, und die Zuschüsse, die sie von ihren männlichen Bewunderern erhielt, hatten diesen noch verbessert. Sie hatte auf nichts verzichten müssen. Die elegante Wohnung in New York hallte ständig von fröhlichem Partylärm wider, und die Schönen und Reichen fanden immer den Weg dorthin. Anträge hatte sie mehrere erhalten, aber sie hatte abgewartet auf der Jagd nach einem noch reicheren, noch fescheren und weltgewandteren Mann und sich unterdessen keine Form der Belustigung versagt. Es war, als müßte sie sich für die verlorenen Jahre entschädigen und doppelt so schnell und so viel wie alle anderen leben. Ein hektischer Eifer lag in ihrer Art zu lieben, zu feiern und Geld auszugeben für Kleider, Schmuck und die Einrichtung ihres Appartements. Heute aber war ihr, als lägen diese Jahre weit zurück.
Beim Zusammenbruch von Kreugers Zündholzimperium hatte ihr Vater alles verloren. Ein paar unüberlegte Investitionen, und das, Vermögen, das er aufgebaut hatte, war dahin. Als das Telegramm kam, hatte sie über sein törichtes Verhalten eine
Weitere Kostenlose Bücher