Die Toechter der Kaelte
den Armen gerissen und preßte es fest an sich. Er hörte auch nicht damit auf, als Maja durch den Schock aufwachte und aus vollem Hals zu schreien begann.
»Was machst du denn? Du erschreckst Maja doch!«
Erica versuchte, ihm das schreiende Kind wegzunehmen, um es zu beruhigen, aber er wehrte sie ab und preßte die Kleine nur noch fester an sich. Maja schrie jetzt total hysterisch, und in Ermangelung besserer Ideen gab Erica Patrik einen Klaps auf den Arm und sagte: »Jetzt reiß dich aber zusammen! Was ist denn los mit dir? Siehst du nicht, daß sie eine Riesenangst hat!«
Da schien er endlich aufzuwachen und sah verwirrt auf die Tochter hinunter, die vor Wut und Panik knallrot im Gesicht war.
»Entschuldige.« Er gab Maja an Erica zurück, die angestrengt versuchte, sie wieder ruhig zu wiegen.
Nach ein paar Minuten gelang es ihr, und das Geschrei ging in lange Schluchzer über. Erica sah Patrik an, der sich aufs Sofa gesetzt hatte und in den Sturm hinausschaute.
»Was ist denn passiert, Patrik?« sagte sie jetzt in milderem Ton. Sie konnte es nicht vermeiden, daß Unruhe in ihrer Stimme mitschwang.
»Wir haben heute die Meldung bekommen, daß ein Kind ertrunken ist. Hier aus Fjällbacka. Martin und ich sind hingefahren.« Er verstummte, unfähig weiterzureden.
»O mein Gott, was ist passiert? Wer war es?«
Dann zuckte ihr ein Gedanke durch den Kopf, es war, als würden alle Dominosteine in der richtigen Reihenfolge landen.
»O mein Gott«, wiederholte sie, »es ist Sara, stimmt’s? Charlotte wollte am Nachmittag zum Kaffee kommen, aber sie tauchte nicht auf, und zu Hause bei ihr ging keiner ans Telefon. Es ist so, ihr habt Sara gefunden, oder?«
Patrik vermochte nur zu nicken, und Erica sank in den Sessel, um zu verhindern, daß ihr die Beine wegknickten. Sie sah vor sich, wie Sara durch ihr Wohnzimmer hüpfte, es war erst dieser Tage gewesen. Das lange rote Haar flog ihr um den Kopf, und das Lachen sprudelte aus ihr heraus mit urwüchsiger, unbändiger Kraft.
»O mein Gott«, sagte Erica noch einmal und preßte die Hände an den Mund, während ihr das Herz wie ein Stein im Leib sank. Patrik starrte beharrlich aus dem Fenster, und im Profil sah sie, wie seine Kiefer mahlten.
»Es war so entsetzlich, Erica. Ich bin Sara nicht sehr oft begegnet, aber sie dort im Boot liegen zu sehen, völlig leblos … Ich habe die ganze Zeit Maja vor Augen gehabt. Seitdem hat mich der Gedanke nicht losgelassen, stell dir vor, wenn so was mit Maja passiert. Und dann zu Charlotte zu fahren und ihr zu berichten, was passiert ist…«
Erica ließ ein Wimmern hören. Sie hatte keine Worte, um das Ausmaß des Mitgefühls zu beschreiben, das sie für Charlotte, ja, und auch für Niclas empfand. Sie verstand jetzt Patriks Reaktion und bemerkte, daß sie Maja selbst immer heftiger an sich drückte. Sie würde sie nie mehr loslassen. Sie würde hier mit ihr im Arm sitzen bleiben, da war sie sicher, auf ewig. Maja wand sich unruhig, mit der Empfindsamkeit des Kindes spürte sie, daß die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten.
Vor dem Haus tobte der Sturm immer weiter, Patrik und Erica aber saßen nur da, über lange Zeit, und betrachteten das wilde Spiel der Natur. Keiner von ihnen konnte die Gedanken an das Kind loslassen, das das Meer geholt hatte.
Rechtsmediziner Tord Pedersen nahm sich der Aufgabe mit ungewöhnlich verbissener Miene an. Nach vielen Jahren im Beruf hatte er das, je nach Sichtweise, erstrebenswerte oder verabscheuungswürdige Stadium der Abhärtung erreicht, bei dem die meisten der Gräßlichkeiten, die seine Arbeit mit sich brachte, am Ende des Tages keine nennenswerten Spuren hinterließen. Aber Kinder aufschneiden zu müssen widersprach einem Urinstinkt, der sich gegen alle Routine und Erfahrung durchsetzte, die er in den Jahren als Rechtsmediziner erworben hatte. Die Wehrlosigkeit eines Kindes brachte alle Mauern zum Einsturz, die die Psyche zum Schutz errichten konnte, und seine Hand zitterte leicht, als er sie jetzt zum Brustkorb des Mädchens führte.
Tod durch Ertrinken war die vorläufige Diagnose, die man ihm bei ihrer Einlieferung mitgeteilt hatte, und seine Aufgabe war es, diese zu bestätigen oder zu verwerfen. Doch bis jetzt konnte er mit bloßem Auge nichts erkennen, was dieser Todesursache widersprach.
Das unbarmherzig scharfe Licht des Obduktionssaals unterstrich noch ihre bläuliche Blässe, so daß es aussah, als würde sie frieren. Die kalte Aluminiumplatte unter ihr schien
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