Die Toechter der Kaelte
ruhig.
»Du hast doch gesagt, wir sollten uns zuerst den Idioten vornehmen. Und im Unterschied zu dem da«, Ernst wies mit dem Kopf auf Patrik, »habe ich Vertrauen zu dir und höre auf das, was du sagst.«
Im Normalfall hätte die Schmeichelei gewirkt, doch diesmal konnte sie Mellberg nicht freundlich stimmen.
»Habe ich ausdrücklich gesagt, daß man Morgan holen soll? Nun, habe ich das?«
Ernst schien eine Weile zu zögern, flüsterte dann aber: »Nein.«
»Na also«, brüllte Mellberg. »Verdammt noch mal, wo bleibt denn nur der Rettungswagen! Machen die unterwegs Kaffeepause, oder was?« Er war über alle Maßen frustriert, und es wurde nicht besser davon, daß Hedström ruhig sagte: »Ich glaube nicht, daß sie sich beeilen müssen. Er hat nicht geatmet, seit wir gekommen sind. Vermutlich war er sofort tot.«
Mellberg Schloß die Augen. Er sah seine ganze Karriere flöten gehen. All die Jahre harter Schufterei, vielleicht nicht mit der täglichen Polizeiarbeit, aber damit, im politischen Dschungel richtig zu navigieren und sich mit denen gutzustellen, die Einfluß hatten, und denen in den Hintern zu treten, die ihm Hindernisse in den Weg legten. All das verlor jetzt seinen Sinn wegen dieses saudummen Provinzbullen.
Langsam drehte er sich wieder zu Ernst um. Mit eiskalter Stimme sagte er: »Bis zum Verfahren bist du suspendiert. Und an deiner Stelle würde ich nicht erwarten zurückzukommen.«
»Aber«, sagte Ernst und setzte zum Protest an. Er verstummte jäh, als Mellberg den Finger hob.
»Schhh«, war alles, was er sagte, und damit wußte Ernst, daß das Spiel verloren war. Er konnte ebensogut nach Hause gehen.
Göteborg 1957
Träge streckte Agnes sich auf dem großen Bett aus. Gerade einen Mann geliebt zu haben gab ihr stets das Gefühl, am Leben zu sein. Sie betrachtete Per-Eriks breiten Rücken, als er da auf der Bettkante saß und die sorgfältig gebügelte Anzughose anzog.
»Nun, wann wirst du es Elisabeth sagen?« fragte sie und musterte ihre rotlackierten Fingernägel auf der Suche nach Mängeln. Sie fand keine. Das Fehlen einer Erwiderung ließ sie aufschauen.
»Per-Erik?«
Er räusperte sich. »Ich finde es noch ein bißchen früh. Es ist doch erst gut einen Monat her, daß Äke gestorben ist, und was sollen die Leute sagen, wenn …« Er ließ den Satz unbeendet im Raum ausklingen.
»Ich dachte, was wir zusammen haben, bedeutet dir mehr als >die Ansichten der Leute<«, erwiderte sie mit einer Schärfe, die er bisher noch nie vernommen hatte.
»Das tut es auch, Liebling, das tut es. Ich finde nur, wir sollten … ein bißchen warten«, sagte er, drehte sich um und streichelte ihre nackten Beine.
Mißtrauisch schaute Agnes ihn an. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich. Es ärgerte sie, daß sie ihn nie richtig einzuschätzen vermochte, was ihr bei allen anderen Männern stets gelungen war, aber vielleicht war gerade das der Grund, weshalb sie zum ersten Mal im Leben fühlte, einen Mann getroffen zu haben, der ihren Erwartungen entsprach. Und das war auch wirklich an der Zeit. Zwar sah sie für ihre dreiundfünfzig noch sehr gut aus, aber auch sie würde sich bald nicht mehr auf ihr Aussehen verlassen können. Der Gedanke erschreckte sie, und gerade deshalb war es ihr so wichtig, daß Per-Erik die so freigebig gemachten Versprechungen auch hielt. All die Jahre, die ihr Verhältnis schon währte, hatte stets sie die Kontrolle ausgeübt. Zumindest hatte sie es so gesehen. Doch vielleicht hatte sie sich täuschen lassen? Sie hoffte für ihn, daß dem nicht so war.
Harald Spjuth gefiel sein Leben als Pastor. Aber als Mensch fühlte er sich manchmal ein wenig einsam. Obwohl er bereits die Vierzig erreicht hatte, war es ihm noch nicht gelungen, jemanden zu finden, mit dem er sein Leben teilen konnte, und diese Tatsache schmerzte ihn tief. Vielleicht war das Beffchen ein Hindernis, denn nichts an seiner Persönlichkeit deutete darauf hin, daß es ihm schwerfallen würde, Liebe zu finden. Er war ein wirklich netter und guter Mensch, selbst wenn er das wohl nie von sich selbst sagen würde, denn dazu war er zu schüchtern und zu demütig. Auch sein Aussehen konnte an der Einsamkeit nicht schuld sein. Zwar ließ sich beim bestem Willen nicht behaupten, daß er als Leinwandheld durchgehen könnte, aber er hatte nette Gesichtszüge, noch alle Haare auf dem Kopf und die beneidenswerte Veranlagung, nicht ein Gramm Fett anzusetzen, trotz seiner Vorliebe für gutes Essen und der vielen
Weitere Kostenlose Bücher