Die Toechter der Kaelte
Kaffeestündchen, die das Leben als Pastor in einem kleinen Ort mit sich brachte. Dennoch hatte es sich nicht richtig ergeben.
Aber Harald hatte die Hoffnung noch nicht fahren lassen. Er fragte sich, was die Gemeinde wohl sagen würde, wenn sie wüßte, wie produktiv er in letzter Zeit in Bezug auf Kontaktanzeigen war. Nach erfolglosen Versuchen beim Tanz auf der Tenne und bei Kochkursen hatte er sich am Ende des Frühjahrs hingesetzt und seine erste Anzeige verfaßt, und dann war es immer so weitergelaufen. Noch war ihm die große Liebe nicht begegnet, aber er hatte mehrere nette Bekanntschaften beim Essen gemacht und sich obendrein ein paar richtig gute Brieffreunde zugelegt. Daheim auf dem Küchentisch lagen drei Briefe und warteten darauf, gelesen zu werden. Doch zuerst rief die Pflicht.
Er hatte einigen der älteren Gemeindemitglieder, die es schätzten, ein Stündchen zu verplaudern, einen Hausbesuch abgestattet. Jetzt ging er am Pfarrhof vorbei, unterwegs zur Kirche. Viele seiner ehrgeizigeren Kollegen hätten diese Gemeinde wohl als etwas zu klein empfunden, doch Harald fühlte sich hier pudelwohl. Der gelbe Pfarrhof war ein schönes Zuhause, und wenn er den kleinen Hügel durch die Allee hinaufging, war er immer wieder beeindruckt, wie imposant die Kirche doch war. Als er an der alten Kirchschule direkt gegenüber dem Pfarrhof vorbeikam, dachte er einen Augenblick über die hitzige Diskussion nach, die im Ort aufgeflammt war. Eine Wohnungsbaugesellschaft wollte das im höchsten Grad baufällige Gebäude abreißen, um Wohnungen zu errichten, aber das Projekt hatte sofort eine Reihe von Protestartikeln und Leserbriefen zur Folge, von Leuten, die die alte Schule um jeden Preis bewahren wollten. In gewisser Weise konnte Harald beide Seiten verstehen, aber es war dennoch bemerkenswert, daß die meisten der Abrißgegner nicht wirklich hier ansässig waren, sondern nur Sommergäste, die im Ort Wohnungen mieteten. Die wollten selbstverständlich, daß ihr Refugium Fjällbacka so herrlich malerisch und liebreizend blieb, damit sie an den Wochenenden durch den Ort spazieren und sich glücklich schätzen konnten, einen derart angenehmen Zufluchtsort fern vom Alltag der Großstadt zu haben. Das Problem war nur, daß ein Ort, der sich nicht entwickelte, früher oder später zugrunde ging. Wohnungen wurden gebraucht, und nicht alles in Fjällbacka ließ sich unter Denkmalschutz stellen, ohne auf den Lebensnerv der Gegend Einfluß zu haben. Zwar war Tourismus gut, aber auch nach dem Sommer gab es ein Leben, überlegte Harald, als er ruhigen Schritts auf die Kirche zuging.
Bevor er durch die schwere Kirchenpforte trat, hielt er gewohnheitsgemäß kurz inne und blickte zum Turm hoch, indem er den Kopf so weit wie möglich in den Nacken legte. Bei windigem Wetter wie heute hatte er die Illusion, der Turm würde schwanken, und der beeindruckende Anblick von Tausenden Tonnen Granit, die gleichsam auf ihn zufielen, ließ ihn stets Ehrfurcht vor den Männern empfinden, die diese mächtige Kirche erbaut hatten. Zuweilen wünschte er, daß er in jener Zeit gelebt hätte und vielleicht sogar einer der Bohusläner Steinmetze gewesen wäre, die, gänzlich unbeachtet, mit ihren Händen alles, von einfachsten Straßen bis zu imposantesten Statuen, erschaffen hatten. Doch war er aufgeklärt genug, um zu wissen, daß es nur ein romantischer Traum war. Das Leben war für diese Leute gewiß alles andere als lustig gewesen, und er schätzte den Komfort der heutigen Zeit viel zu sehr, um sich selbst einzureden, daß es ihm ohne diesen besser gehen würde.
Nach dem minutenlangen Träumen öffnete er das Kirchentor. Schuldbewußt gestand er sich ein, daß er hoffte, Arne dort nicht anzutreffen. Eigentlich war an dem Mann nichts auszusetzen, denn er machte seine Arbeit recht ordentlich, aber Harald mußte zugeben, daß er mit diesen alten Schartau-Reliquien Probleme hatte, und Arne war einer der Schlimmsten dieser Gestrigen. Auch ließ sich kaum ein düsterer Mensch finden. Es war, als würde er im Elend schwelgen und überall nur das Negative suchen. Manchmal, wenn Arne neben ihm stand, konnte Harald spüren, wie der Mann ihm förmlich die Lebensfreude aussog. Auch für das ewige Gerede über weibliche Pastorinnen hatte Harald nicht viel übrig. Hätte er jedesmal, wenn Arne sich über Haralds Vorgängerin beklagte, ein Fünfkronenstück erhalten, wäre er heute ein reicher Mann. Ehrlich gesagt, verstand er nicht, was daran so furchtbar
Weitere Kostenlose Bücher