Die Toechter der Kaelte
überlegte einen Augenblick, wie sie die Neuigkeit von der Scheidung ihrer Eltern und ihrer neuen Stiefmutter wohl aufnehmen würden, aber sie war sich sicher, die drei mit der Zeit auf ihre Seite hinüberzuziehen. Sie würden schließlich früh genug feststellen, wieviel mehr sie Per-Erik zu bieten hatte.
Sie beobachtete, wie der Kuchen in Elisabeths Mund verschwand und die Gastgeberin gleich nach einem zweiten Stück griff. Das ungehemmte Schlingen erinnerte sie an die Tochter, und sie mußte sich beherrschen, um Elisabeth den Kuchen nicht zu entreißen, genau wie sie es daheim bei der Tochter getan hatte. Statt dessen lächelte sie verbindlich und sagte: »Ja, ich verstehe, daß du über mein unangemeldetes Auftauchen etwas erstaunt bist, aber leider habe ich dir etwas Unangenehmes mitzuteilen.«
»Etwas Unangenehmes, was kann das sein?« fragte Elisabeth in einem Ton, der Agnes hätte warnen müssen, wenn sie nicht derart mit ihrem Vorhaben beschäftigt gewesen wäre.
»Ja, weißt du, die Sache ist die«, sagte Agnes und stellte bedächtig die Tasse ab, »daß Per-Erik und ich uns inzwischen … ja, sehr, sehr gern haben. Und das schon seit geraumer Zeit.«
»Und jetzt wollt ihr euch zusammen ein Leben aufbauen«, ergänzte Elisabeth, und Agnes verspürte Erleichterung, weil es bedeutend einfacher zu gehen schien, als sie gedacht hatte. Dann sah sie Elisabeth an und begriff, daß etwas verkehrt lief. Total verkehrt. PerEriks Frau musterte sie mit sarkastischem Lächeln, und ihr Blick hatte einen kalten, hellen Glanz, den Agnes noch nie an ihr gesehen hatte.
»Ich verstehe, daß es dir einen Schock versetzt …«, erwiderte Agnes lahm, sich ganz und gar nicht mehr sicher, ob ihr sorgfältig einstudierter Text noch taugte.
»Meine Liebe, ich habe über eure kleine Beziehung im Prinzip von Anfang an Bescheid gewußt. Wir haben ein Übereinkommen, PerErik und ich, und für uns funktioniert das bestens. Du hast ja doch wohl nicht geglaubt, daß du die erste - oder die letzte bist?« fragte Elisabeth mit einem boshaften Ton in der Stimme, der Agnes fast verleitete, die Hand zu erheben und ihr eine Ohrfeige zu verpassen.
»Ich verstehe nicht, wovon du redest«, sagte Agnes und fühlte, wie der Boden unter ihren Füßen schwankte.
»Sag bloß nicht, du hättest nicht gemerkt, daß Per-Eriks Interesse abgenommen hat. Er ruft dich nicht mehr so oft an, du kannst ihn nur schwer erreichen, wenn du ihn suchst, er scheint zerstreut bei euren Treffen. O ja, ich kenne meinen Mann nach vierzig Jahren Ehe gut genug, um zu wissen, wie er sich in einer solchen Situation verhält. Und außerdem weiß ich zufällig, daß das neue Objekt seiner heißen Begierde eine dreißigjährige Brünette ist, die als Sekretärin in der Firma arbeitet.«
»Du lügst«, sagte Agnes und sah Elisabeths aufgedunsene Gesichtszüge wie in einem Nebel.
»Du kannst glauben, was du willst. Frag Per-Erik selbst. Doch jetzt finde ich, du solltest gehen.«
Elisabeth stand auf, trat in die Diele hinaus und hielt Agnes demonstrativ ihren grauschimmernden Pelz hin. Noch immer unfähig, zu begreifen, was Elisabeth gesagt hatte, folgte ihr Agnes stumm. Geschockt stand sie dann auf der Vortreppe und ließ sich vom Wind leicht hin und her schieben. Langsam fühlte sie die allzugut bekannte Wut in sich aufsteigen. Die war noch um so stärker, weil sie spürte, sie hätte es besser wissen müssen. Sie hätte nicht glauben dürfen, daß sie sich auf einen Mann verlassen könnte. Jetzt wurde sie bestraft, indem man sie noch einmal verriet.
Als bewege sie sich durch Wasser, ging Agnes zum Auto, das ein Stück die Straße hinunter geparkt stand, und dann saß sie lange reglos auf dem Fahrersitz. Wie Ameisen liefen ihr die Gedanken durch den Kopf und gruben immer tiefere Gänge des Hasses und der Unversöhnlichkeit. All das Alte, das sie in die hintersten Winkel der Erinnerung gestopft hatte, sickerte erneut hervor. Die Knöchel ihrer Hände, die das Steuer umfaßt hielten, wurden weiß. Sie lehnte den Kopf zurück und Schloß die Lider. Bilder der schrecklichen Jahre in der Steinmetzbaracke tauchten vor ihrem inneren Auge auf, und sie konnte den Geruch von Dreck und Schweiß spüren, als die Männer nach dem Arbeitstag heimkehrten. Sie erinnerte sich an die Schmerzen bei der Geburt der Jungen, als sie unentwegt in die Bewußtlosigkeit abgeglitten war. An den Rauchgeruch, als die Häuser in Fjällbacka brannten, die Brise auf dem Schiff nach New York, das
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