Die Toechter der Kaelte
Stimmengewirr und die knallenden Champagnerkorken, das genußvolle Stöhnen der namenlosen Männer, Marys Weinen, als sie verlassen auf dem Kai stand, das Geräusch von Äkes Atemzügen, die langsam stockten und dann ganz aufhörten, Per-Eriks Stimme, die versprach und versprach. Versprechen, die er nie einzulösen gedachte. All das und noch mehr flimmerte hinter ihren geschlossenen Augenlidern vorbei, und nichts von dem, was sie sah, dämpfte ihre Wut, die stetig anwuchs. Sie hatte alles getan, um sich das Leben, das ihr zustand, zu erschaffen, das Leben, in das sie geboren worden war. Aber ständig hatte das Schicksal ihr ein Bein gestellt. Alle waren gegen sie gewesen und hatten ihr Bestes getan, um ihr das wegzunehmen, was ihr von Rechts wegen zustand: ihr Vater, Anders, die amerikanischen Kavaliere, Äke und jetzt Per-Erik. Eine lange Reihe von Männern mit dem gemeinsamen Nenner, daß sie Agnes auf die verschiedenste Weise ausgenutzt und verraten hatten. Als die Dämmerung hereinbrach, konzentrierte sich diese Schmach auf einen einzigen brennenden Punkt. Mit leerem Blick fixierte sie Per-Eriks Auffahrt, und langsam kam sie im Auto zur Ruhe. Schon einmal in ihrem Leben hatte sie dieselbe Ruhe empfunden, und ihr war klar, sie rührte von der Gewißheit her, daß ihr jetzt nur eine einzige Alternative blieb.
Als die Scheinwerfer seines Autos endlich die Dunkelheit zerteilten, hatte Agnes drei Stunden regungslos da gesessen, doch war sie sich des verflossenen Zeitraums nicht bewußt. Zeit hatte keine Bedeutung mehr. All ihre Sinne waren auf die vor ihr liegende Aufgabe gerichtet, und es gab nicht den geringsten Zweifel. Jede Logik, jedes Wissen über Konsequenzen, all das war ausradiert zugunsten des Instinkts und des Wunsches zu handeln.
Mit schmalen Augen sah sie, wie er das Auto parkte, seinen Aktenkoffer nahm, der immer neben ihm auf dem Beifahrersitz lag, und ausstieg. Während er den Wagen sorgfältig abschloß, ließ sie vorsichtig den Motor an und legte den Gang ein. Dann geschah alles ganz schnell. Sie gab Vollgas, und das Auto raste vorwärts auf sein nichtsahnendes Ziel zu. Sie überquerte ein Stück des Rasens, und erst als die Front des Wagen nur noch wenige Meter entfernt war, hörte Per-Erik, daß etwas im Gange war, und drehte sich um. Den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich ihre Blicke, dann traf sie ihn, und er wurde gegen sein eigenes Auto genagelt. Mit ausgestreckten Armen lag er vornüber auf ihrer Motorhaube, und sie sah seine Augenlider flattern und sich dann langsam schließen.
Hinter dem Steuer ihres Wagens saß Agnes und lächelte. Man verriet sie nicht ungestraft.
Als Anna aufwachte, verspürte sie dasselbe Gefühl der Hoffnungslosigkeit wie jeden Morgen. Sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie zum letzten Mal durchgeschlafen hatte. Statt dessen grübelte sie in den dunklen Nachtstunden, wie sie sich und die Kinder aus der Situation retten konnte, in die sie die Kleinen gebracht hatte.
Neben ihr schniefte Lucas ruhig vor sich hin. Manchmal drehte er sich im Schlaf um und legte seinen Arm auf sie, und sie mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht angewidert aus dem Bett zu springen. Aber sie wußte, was das für Konsequenzen hatte.
In den letzten Tagen hatte sich alles irgendwie beschleunigt. Seine Ausbrüche wurden immer häufiger, und es kam ihr vor, als säßen sie in einer Spirale fest, die sie mit zunehmender Geschwindigkeit in die Tiefe riß. Nur einer von ihnen würde aus dieser Tiefe zurückkehren. Wer das sein würde, wußte sie nicht. Aber nebeneinander konnten sie keinesfalls existieren. Sie hatte einmal irgendwo von der Theorie gelesen, daß es eine Parallelwelt gab, in der jedes Lebewesen einen Parallelzwilling hatte, und wenn man diesen Zwilling jemals traf, würden beide sofort zerstört werden. So war es auch mit Lucas und ihr, nur daß ihre Vernichtung langsamer und qualvoller vor sich ging.
Sie hatten jetzt schon mehrere Tage die Wohnung nicht verlassen.
Als sie Adrians Stimme von der Matratze in der Zimmerecke hörte, stand sie vorsichtig auf, um ihn zu holen. Es war das beste, er weckte Lucas nicht.
Sie gingen zusammen in die Küche und bereiteten das Frühstück vor. Lucas hatte in letzter Zeit so gut wie nichts gegessen und war so stark abgemagert, daß ihm die Kleider um den Leib schlotterten. Dennoch verlangte er, daß jeden Tag zu festgelegten Zeiten drei Mahlzeiten auf dem Tisch standen.
Adrian quengelte und wollte nicht in seinem
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