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Die Toechter der Kaelte

Die Toechter der Kaelte

Titel: Die Toechter der Kaelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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durchgesehen, in diesem Fall also von Patrik, der damit der glückliche Empfänger von einer gehörigen Portion Klatsch und einer Menge grundloser Beschuldigungen war, worum es sich ihrer Erfahrung nach meist handelte.
    Der jetzige Fall hatte jedoch mehr Anrufe als gewöhnlich gebracht. Alles, was Kinder betraf, wühlte die Gefühle der breiten Öffentlichkeit stets gründlich auf, und nichts weckte so starke Reaktionen wie Kindsmord. Aber es war kein schönes Bild der breiten Masse, das sie durch all die Anrufe erhielt. Vor allem schien die Toleranz der neuen Zeit, was Homosexuelle anging, außerhalb der Großstädte noch nicht angekommen zu sein, und sie erhielt jede Menge Tips im Hinblick auf Männer, die als suspekte Individuen galten, alles nur aufgrund ihrer bestätigten oder vermuteten Homosexualität. In den meisten Fällen waren die vorgebrachten Argumente in ihrer Einfalt geradezu lächerlich. Es genügte, daß ein Mann einen nicht eben traditionellen Beruf ausübte, um ihn als ganz sicher einen von »diesen perversen Typen« zu melden. Bis jetzt hatte sie zahlreiche Hinweise auf einen örtlichen Friseur, einen in Vertretung tätigen Blumenhändler, einen Lehrer, der offenbar den unerhörten Fehler begangen hatte, rosa Hemden zu tragen, sowie auf das verdächtigste Subjekt von allen erhalten: einen Erzieher im Kindergarten. Insgesamt zählte Annika zehn Gespräche letztgenanntes Individuum betreffend, und sie legte diese Zettel seufzend beiseite. Manchmal fragte sie sich, ob sich in den kleinen Orten die Zeit überhaupt vorwärtsbewegte.
    Das nächste Gespräch ließ sich nicht mit den übrigen vergleichen. Die Frau am anderen Ende der Leitung wollte anonym bleiben, doch der Hinweis, mit dem sie kam, war zweifellos interessant. Annika setzte sich gerade hin und schrieb alles genau auf, was die Frau sagte. Das hier würde ganz oben auf dem Stapel landen. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter, und sie hatte das Gefühl, das, was sie jetzt erfahren hatte, könnte für den Fall entscheidend sein. Es war so selten, daß sie bei einer Ermittlung an den Momenten beteiligt war, in denen sich eine Wende abzeichnete, daß sie nicht anders konnte, als eine gewisse Befriedigung zu verspüren. Das hier war vielleicht genau solch ein Augenblick. Das Telefon klingelte erneut, und sie griff nach dem Hörer. Ein weiterer Hinweis auf den Blumenhändler.
     
    Widerwillig legte er die Gesangbücher in den Kirchenbänken aus. Normalerweise bereitete ihm die Arbeit große Freude, doch heute nicht. Diese modernen Einfalle! Musikgottesdienst an einem Freitagabend, und alles andere als gottesfürchtige Musik. Ausgelassene, muntere Musik sollte in der Kirche nur zum Sonntagsgottesdienst vorgetragen werden und dann vor allem Kirchenlieder aus dem Gesangbuch. Heutzutage durfte offenbar alles mögliche gespielt werden, und bei einigen Gelegenheiten hatten die Leute sich sogar erlaubt zu applaudieren. Nun ja, er mußte wohl froh sein, daß es hier noch nicht so weit wie in Strömstad gekommen war, wo der Pastor einen Unterhaltungskünstler nach dem anderen engagierte. Heute abend sollten hier wenigstens nur Jugendliche der örtlichen Musikschule auftreten, nicht irgendwelche Stockholmer Gänse, die durchs ganze Land zogen, ihre Songs trällerten und sich genauso fröhlich in Gottes Haus stellten wie vor die Trunkenbolde in den Volksparks.
    Ein paar Kirchenlieder würden jedenfalls gesungen werden, und Arne brachte mit äußerster Genauigkeit ihre Nummern auf der Tafel rechts vom Chor an. Als alle Zahlen dastanden, trat er einen Schritt zurück, um zu kontrollieren, daß sie gerade hingen. Er setzte seine Ehre darein, daß alles perfekt war.
    Wenn er doch bei den Menschen für ebensolche Ordnung sorgen könnte. Wie viel besser dann doch alles wäre. Wenn sie, statt eigene Dummheiten zu erfinden, ihm zuhören und von ihm lernen könnten. Man mußte doch nur in die Bibel sehen. Alles war bis ins kleinste Detail beschrieben, wenn man sich nur die Mühe machte, nachzulesen, was da stand.
    Der Gram darüber, daß ihm der Beruf des Pastors versagt geblieben war, traf ihn wieder mit voller Kraft. Nachdem er sich vorsichtig umgesehen und festgestellt hatte, daß er allein war, öffnete er die Schranke zum Chor und trat ehrfürchtig zum Altar vor. Er blickte zu dem ausgemergelten, gemarterten Jesus am Kreuz hoch. Das war es, wovon das Leben handelte. Das Blut anzuschauen, das aus den Wunden des Gekreuzigten lief, zu sehen, wie ihm die

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