Die Toechter der Kaelte
Dornenkrone ins Haupt stach, und sich angesichts dessen in Respekt zu verneigen. Er wandte sich um und schaute auf die leeren Kirchenbänke. Vor seinem inneren Blick füllten sie sich mit Menschen, seiner Gemeinde, seinen Zuhörern. Er hob prüfend die Hände, und es hallte, als er mit spröder Stimme predigte: »Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch …«
Er sah, wie die Menschen von seinen Worten erfüllt wurden. Wie sie den Segen in ihr Herz aufnahmen und ihn mit strahlenden Gesichtern anschauten. Arne senkte langsam die Hände und warf einen Blick auf die Kanzel. Dorthin hatte er sich nie vorgewagt, aber heute war ihm, als würde ihn der Heilige Geist erfüllen. Wenn der Vater seiner Berufung nicht im Wege gestanden hätte, dann könnte er mit dem vollen Recht des Geistlichen die Kanzel betreten, diese Plattform, wo man erhöht über die Köpfe der Gemeinde Gottes Wort verkünden durfte.
Er machte ein paar vorsichtige Schritte auf die Kanzel zu, aber als er den Fuß auf die erste Stufe setzte, hörte er, wie die schwere Kirchentür aufging. Rasch nahm er den Fuß wieder herunter und kehrte zu seiner Tätigkeit zurück. Bitterkeit ätzte wie Säure in seiner Brust.
Das Geschäft war nur während der Sommermonate und an größeren Festen geöffnet, also suchten sie Jeanette an ihrem Arbeitsplatz auf, wo sie während der übrigen neun Monate des Jahres ihren Lebensunterhalt verdiente. Sie war als Serviererin in einer der wenigen auch im Winter geöffneten Schnellgaststätten Grebbestads angestellt, und als sie durch die Tür traten, fühlte Patrik, daß ihm der Magen knurrte. Aber es war noch ein wenig zu früh fürs Mittagessen, und das Restaurant war menschenleer, nur eine junge Frau bewegte sich gemächlich zwischen den Tischen und richtete sie her. »Jeanette Lind?«
Sie schaute auf und nickte. »Ja, das bin ich.«
»Patrik Hedström und Ernst Lundgren. Wir kommen von der Tanumsheder Polizeidienststelle. Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen, wenn sich das machen ließe?«
Sie nickte nur kurz und senkte rasch den Blick. Sie wußte wohl, welches Anliegen sie zu ihr führte.
»Möchten Sie Kaffee?« fragte sie, und Patrik und Ernst nickten eifrig.
Patrik musterte sie, als sie zur Kaffeemaschine ging. Er kannte ihren Typ nur zu gut. Klein, dunkel und kurvenreich. Große braune Augen und Haare, die ein gutes Stück über die Schultern herabfielen. Bestimmt das hübscheste Mädchen der Klasse, vielleicht sogar die Hübscheste des ganzen Jahrgangs. Beliebt und ständig zusammen mit einem der älteren, cooleren Jungs. Aber als die Schule endete, war ihre Glanzzeit vorüber. Dennoch blieben diese Mädchen in der Heimatgegend, sich wohl bewußt, daß sie dort zumindest einen gewissen Starstatus besaßen, während sie in einer der naheliegenden Großstädte plötzlich nur noch mittelmäßig wären im Vergleich mit ganzen Horden hübscher Mädchen. Er schätzte, daß Jeanette ein gutes Stück jünger als er selbst war und damit auch bedeutend jünger als Niclas. Fünfundzwanzig vielleicht, oder gar noch jünger.
Sie stellte jedem von ihnen eine Kaffeetasse hin, und als sie am Tisch Platz nahm, warf sie ihr Haar leicht zurück. Die Bewegung hatte sie in der Jugend bestimmt Hunderte Male vor dem Spiegel trainiert. Patrik mußte zugeben, daß sie jetzt perfekt saß.
»Shoot, oder was man nun in amerikanischen Filmen sagen würde.« Sie lächelte schief, und ihre Augen verengten sich ein wenig, als sie Patrik ins Visier nahm.
Gegen seinen Willen mußte er zugeben, daß er in gewisser Weise verstand, was Niclas an ihr gefunden hatte. Auch er hatte viele Jahre damit verbracht, die hübschesten Girls der Schule anzuschmachten. Das hatte man noch immer im Blut. Obwohl er natürlich nie eine Chance gehabt hatte. Klein, schmächtig und mit akzeptablen Noten, hatte er zum Durchschnitt gehört und nur aus der Ferne die coolen Typen bewundert, die Mathe schwänzten, um mit einer Zigarette im Mundwinkel in der Raucherecke herumzuhängen. Allerdings hatte er viele dieser Burschen jetzt von Berufs wegen ziemlich gründlich kennengelernt. Manche von ihnen konnten die Ausnüchterungszelle im Revier ihr zweites Zuhause nennen.
»Wir haben mit Niclas Klinga gesprochen, und …«, er zögerte, »… da tauchte Ihr Name auf.«
»Ach ja, tat er das«, sagte Jeanette und war anscheinend nicht im geringsten verlegen über den Zusammenhang, in welchem ihr Name gefallen sein mußte. Sie sah Patrik in aller Ruhe an
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