Die Toechter der Kaelte
und wartete auf das, was er weiter zu sagen hatte.
Ernst saß wie üblich schweigend da und nippte jetzt vorsichtig an seinem heißen Kaffee. Die Blicke, die er Jeanette zuwarf, verrieten nicht, daß er alt genug war, um ihr Vater zu sein. Patrik starrte ihn irritiert an und mußte sich beherrschen, um ihm unterm Tisch nicht gegen das Schienbein zu treten.
»Ja, er sagt, daß Sie beide Montag vormittag zusammengewesen seien, stimmt das?«
Sie warf ihre Haare erneut gekonnt zurück und nickte dann. »Ja, das stimmt. Wir waren bei mir zu Hause. Ich hatte letzten Montag frei.«
»Um welche Uhrzeit kam Niclas in Ihre Wohnung?«
Sie betrachtete während des Nachdenkens ihre Nägel. Die waren lang und sorgfältig manikürt, und Patrik wunderte sich, daß sie damit überhaupt arbeiten konnte.
»Irgendwann gegen halb zehn, würde ich denken. Nein, übrigens, ich bin mir sogar ziemlich sicher, ich hatte den Wecker nämlich auf Viertel nach neun gestellt und stand gerade in der Dusche, als Niclas kam.«
Sie kicherte, und Patrik empfand ihr gegenüber allmählich so etwas wie Abneigung. Er sah Charlotte, Sara und Albin vor sich, aber solche Bilder machten dieser Frau offenbar nicht zu schaffen.
»Und wie lange ist er geblieben?«
»Wir haben gegen zwölf Mittag gegessen, und er hatte um eins einen Termin in der Praxis einzuhalten, also ist er wohl zwanzig Minuten vorher von mir losgefahren, würde ich denken. Ich wohne auf Kullen, also ist es nicht weit dahin.« Wieder ein kurzes Kichern.
Jetzt mußte Patrik sich wirklich beherrschen, damit man ihm seinen Widerwillen nicht anmerkte. Ernst aber schien keine Einwände gegen Jeanette zu haben. Sein Blick wurde immer feuchter, je länger sie dort saßen.
»Und Niclas war die ganze Zeit in Ihrer Wohnung? Hatte nichts draußen zu erledigen?«
»Nein«, sagte sie ruhig, »er ist nirgendwo hingegangen, das kann ich versichern.«
Patrik sah Ernst an und fragte: »Hast du noch was hinzuzufügen?« Er bekam ein Kopfschütteln zur Antwort und sammelte Stift und Block ein.
»Wir haben später sicher noch mehr Fragen, aber bis auf weiteres ist das alles.«
»Ja, ich hoffe, daß ich Ihnen eine Hilfe war«, sagte sie und stand auf. Kein Wort hatte sie zu der Tatsache verloren, daß die Tochter ihres Liebhabers gestorben war. Daß ein Kind ermordet worden war, während sie sich mit dem Vater im Bett wälzte. Ihr offenbarer Mangel an Einfühlungsvermögen hatte etwas Beängstigendes an sich.
»Ja, schon«, erwiderte er kurz und zog die Jacke an, die über dem Stuhlrücken gehangen hatte. Als sie zur Tür hinausgingen, sah er, daß sie sich wieder dem Tischdecken widmete. Sie summte irgendeine Melodie, aber er konnte nicht hören, was es war.
Ziellos ging sie im Souterrain auf und ab, wo sie die letzten Monate gewohnt hatten. Das Drücken in der Brust ließ sie keine Ruhe finden und zwang sie, ständig in Bewegung zu sein. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie keine Kraft hatte, sich um Albin zu kümmern, sondern ihn die meiste Zeit ihrer Mutter überließ, aber mitten in dem Kummer gab es keinen Platz für ihn. In seinem Lächeln und seinen blauen Augen sah sie nur Sara. Er erinnerte so sehr an die Tochter, als sie im gleichen Alter war, und es tat weh, ihn anzuschauen. Auch schmerzte es sie, zu sehen, was für ein ängstliches und schreckhaftes Kind er war. Es schien, als hätte Sara alle Energie aufgesogen, die normalerweise auf Geschwister verteilt sein müßte, und für ihn war nichts übriggeblieben. Zugleich aber wußte Charlotte ganz genau Bescheid. Das Geheimnis drückte in der Brust. Sie hoffte, die Dinge ließen sich reparieren.
Charlotte bereute, was sie gestern zu Erica gesagt hatte. Niclas und sie sollten jetzt zusammenhalten, und ihr Mißtrauen machte alles nur schwerer. Sie sah schließlich, daß auch er litt, und wenn sie das hier nicht näher zusammenbrachte, dann blieb für sie beide keine Hoffnung mehr.
Nachdem sie aus dem Medikamentenrausch aufgetaucht war, hatte sie gehofft, Niclas würde nun seine zärtliche, fürsorgliche und liebevolle Seite zeigen. Sie hatte solche Momente früher erlebt, und jetzt wünschte sie nur, sich an ihn anlehnen zu können. Doch bisher war es nicht so. Er hatte sich abgekapselt, war zur Arbeit gegangen, so schnell er nur konnte, und hatte sie hier zurückgelassen, allein zwischen den Trümmern ihres Lebens.
Ihr Fuß stieß gegen etwas. Charlotte bückte sich, aber hielt mitten in der Bewegung inne. Sie hatte Niclas
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