Die Toechter der Kaelte
zerrinnen, und er mußte oft hungrig in den Steinbruch gehen, weil es kein Geld für Essen gab. Dennoch brachte er jede Ore seines Verdienstes heim, was nicht eben üblich war. Poker war das größte Vergnügen unter den Steinarbeitern. Das Spielen nahm sowohl Abende als auch Wochenenden in Anspruch und endete meist damit, daß die Männer mit enttäuschten Mienen und leeren Taschen zu ihren Frauen heimkehrten, die längst resigniert hatten, wovon die Bitterkeit in ihren Gesichtern zeugte.
Bitterkeit war ein Gefühl, mit dem er selbst immer mehr Bekanntschaft Schloß. Das Leben mit Agnes, das ihm vor weniger als einem fahr wie ein schöner Traum erschienen war, glich statt dessen der Strafe für ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte. Das einzige, was er sich hatte zuschulden kommen lassen, war, sie zu lieben und ihr ein Kind einzupflanzen, dennoch wurde er bestraft, als hätte er die größte Todsünde begangen. Er schaffte es nicht einmal mehr, sich auf das Kind in ihrem Leib zu freuen. Ihre Schwangerschaft war nicht schmerzfrei verlaufen, und jetzt, wo sie die letzten Tage vor sich hatte, war es schlimmer als je zuvor. Sie hatte all die Monate über Schmerzen und Beschwerden mal hier und mal da geklagt und sich geweigert, den täglichen Verrichtungen nachzugehen. Das hieß für ihn, nicht nur vom frühen Morgen bis zum späten Abend im Steinbruch zu schuften, sondern obendrein noch all die Dinge zu erledigen, die eine Ehefrau tun sollte. Es machte die Sache nicht leichter, daß die anderen Steinmetze mal über ihn lachten und ihn dann wieder bedauerten, weil er den Pflichten einer Frau nachkommen mußte. Doch meist war er viel zu erschöpft, um überhaupt darüber nachzudenken, was andere hinter seinem Rücken sagten.
Trotz allem sah er der Geburt des Kindes entgegen. Vielleicht würde es die Mutterliebe schaffen, Agnes’ Auffassung von sich selbst als Mittelpunkt der Erde zu verändern. Ein kleines Kind erforderte alle Aufmerksamkeit, und das würde wohl eine nützliche Erfahrung für seine Gattin werden. Denn er weigerte sich, den Gedanken aufzugeben, daß ihre Ehe doch funktionieren könnte. Er war kein Mann, der seine Versprechen leicht nahm, und wenn nun ein gesetzliches Band sie verknüpfte, dann stand es nicht in ihrer Macht, die Verbindung aufzulösen, wie schwer das zuweilen auch erscheinen mochte.
Sicher kam es vor, daß er die anderen Frauen in der Baracke betrachtete, die hart schufteten und niemals klagten, und dann fand er, daß ihm ein ungerechtes Los zuteil geworden war. Zugleich aber sah er ein, daß ihm dieses Los wahrhaftig nicht zuteil geworden war, sondern daß er sich selbst in diese Situation versetzt hatte. Und damit verlor er das Recht zu klagen.
Mit schweren Füßen ging er den schmalen Weg heimwärts. Dieser Tag war ebenso monoton gewesen wie all die anderen. Er hatte die Zeit damit verbracht, Kriebelmücken zur echtzuschlagen, und die Schulter schmerzte, wo derselbe Muskel den ganzen Tag lang gewaltiger Belastung ausgesetzt war. In den Gedärmen wühlte der Hunger, daheim hatte es nichts gegeben, was er als Proviant hätte mitnehmen können, und hätte Jansson von nebenan sich nicht seiner erbarmt und ein Frühstücksbrot mit ihm geteilt, dann hätte er den ganzen Tag nichts in den Magen bekommen. Nein, dachte er, von jetzt an mußte Schluß damit sein, Agnes den Lohn anzuvertrauen. Er mußte den Lebensmittelkauf ganz einfach selbst übernehmen, genau wie er all ihre anderen Aufgaben übernommen hatte. Zwar konnte er persönlich aufs Essen verzichten, aber er war nicht bereit, sein Kind hungern zu lassen, und deshalb war es höchste Zeit, daheim ein paar neue Regeln einzuführen.
Er seufzte einen Augenblick und verhielt den Schritt, bevor er die dünne Holztür öffnete und zu seiner Frau hineinging.
Hinter der Glasscheibe in der Rezeption hatte Annika jeden, der kam und ging, unter bester Aufsicht. Heute aber war es ruhig. Nur Mellberg saß in seinem Zimmer, und niemand war wegen einer dringenden Angelegenheit im Polizeirevier vorstellig geworden. Doch bei ihr drinnen herrschte rege Aktivität. Die Veröffentlichung in den Medien hatte eine Menge Anrufe zur Folge gehabt, aber noch war es zu früh, um zu sagen, ob etwas dabei war, das man weiterverfolgen sollte. Das zu entscheiden war auch nicht ihre Aufgabe. Sie notierte lediglich alles, was sie erfuhr, einschließlich Namen und Telefonnummern der Informanten. Das Material würde dann vom verantwortlichen Ermittler
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