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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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zurückkehren. Schließlich seid ihr Zivilist“, setzte er verächtlich hinzu.
     
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Zypern, eine Halle in der Zitadelle, Juni 1571
     
    „Warum versteckt Cassio sich da unten am Fuß der Tafel?“, bedrängte Lodovico Christoforo Moro, der mühsam darauf bedacht war, Cassios Blick zu meiden. Sein ehemaliger Oberstleutnant hatte respektvoll am Ende der langen Tafel Platz genommen – weit entfernt von Marcantonio und ihm selbst. „Es gibt ein paar Unstimmigkeiten zwischen ihm und meinem Gemahl“, erwiderte Desdemona, als Christoforo hartnäckig schwieg. „Aber sie werden bald aus der Welt geräumt sein.“ Sie lächelte Christoforo an, der lustlos in den Köstlichkeiten auf seinem Teller herumstocherte. Trotz der Belagerung mangelte es ihnen dank der glücklichen Fügung, dass sie freien Zugang zum Meer hatten, nicht an Essen. Daher quoll der Tisch über von frischen Meeresfrüchten, und auch Brot war zur Genüge vorhanden. „Haben die Briefe schlechte Nachrichten enthalten?“, erkundigte Gratiano sich scheinheilig. Christoforo gab vor, die Frage nicht gehört zu haben. Erst als Desdemonas Onkel sie wiederholte, erwiderte er ausweichend: „Ich hatte noch keine Zeit, sie alle zu lesen.“ Unterdessen beobachtete er aus dem Augenwinkel seine Gemahlin, die den Kopf gewendet hatte, um einen Blick mit Cassio zu tauschen. Als seine Augen von Desdemona zum Oberstleutnant wanderten, fing er Jagos Blick auf. Der Major hob bedeutungsvoll eine Braue und neigte den Kopf, als wolle er sagen: „Was habe ich Euch gesagt.“ Wenn doch nur der Zweifel aufhören würde, an ihm zu nagen! Nur mit Mühe widerstand Christoforo dem Drang, sich die Haare zu raufen. Er wusste, dass sie ihn liebte! Oder nicht? Er unterdrückte ein Stöhnen und versuchte, sich auf das höfliche Geplapper um ihn herum zu konzentrieren.
     
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    Angelina schwebte auf einer Wolke der Glückseligkeit. Francesco war spät und ziemlich mitgenommen zu der Versammlung gestoßen, doch nun saß er unversehrt und gesund neben ihr. Sie hielt unter dem Tisch seine Hand umklammert, was es lächerlich schwierig machte, das Besteck zu handhaben. Aber sie würde ihn an diesem Abend nicht mehr loslassen. Das ungute Gefühl, das sie den ganzen Tag über beschlichen hatte, war wie ein körperlicher Schmerz von ihr abgefallen, sodass sie nun wieder Augen für andere Dinge hatte. Sie saßen am selben Tisch wie der General und Desdemona, und sie hatte ihren Onkel und Vetter höflich begrüßt. Doch aus Gratianos Augen war ihr nichts als Hass und Verachtung entgegengeblitzt. Es war ihr gleichgültig. Solange ihr Gemahl an ihrer Seite war, konnten ihr die Mitglieder ihrer Familie egal sein. Allerdings hatte sie auch eine unterdrückte Spannung zwischen Christoforo und Desdemona wahrgenommen, was sie mit leisem Unbehagen erfüllte, da Christoforos Benehmen sie in letzter Zeit immer öfter in Sorge versetzte. Während der vergangenen Wochen war er übellaunig und unberechenbar geworden, und erst vor zwei Tagen hatte Angelina mit ansehen müssen, wie er einen Knaben schlug, der schlechte Nachricht von der Front brachte. Als sie ihre Schwester darauf angesprochen hatte, war sie ihr ausgewichen und hatte das Gespräch hastig in eine andere Richtung gelenkt. Der Druck von Francescos Hand ließ sie die unangenehmen Gedanken abstreifen. Mit einem Leuchten in den Augen wandte sie ihre Aufmerksamkeit erneut ihrem Gatten zu und strahlte ihn an.
     
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    „Warum ist der Oberstleutnant nicht an der Front?“, griff Lodovico das Thema wieder auf, das ihm offenbar am meisten Kopfzerbrechen bereitete. „Hm?“ Christoforo war sich darüber im Klaren, dass er unhöflich war, aber er konnte nichts dagegen unternehmen. Die Augen seiner Frau schienen an Cassios zu kleben. „Warum bleibt der Oberstleutnant in der Zitadelle zurück, wenn alle anderen mit der Verteidigung der Stadt beschäftigt sind?, formulierte Lodovico die Frage um. „Ich verstehe nicht, was Ihr sagen wollt“, gab Christoforo verwirrt zurück. Man hatte ihm berichtet, dass Cassio in Jagos Abschnitt kämpfte. „Nun“, Lodovico senkte mit einem Seitenblick auf Desdemona, deren Aufmerksamkeit zu den Calamares auf ihrem Teller zurückgekehrt war, die Stimme. „Als wir heute ankamen, war er im Hof der Zitadelle in ein …“, er hüstelte, „… offenbar sehr persönliches Gespräch mit Eurer Gemahlin vertieft.“ Christoforo umklammerte mit der Linken die Klinge seines Messers, um die Hand, die

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