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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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und der Schönheit, die sich ihm jetzt zuwandte, um ihm ein strahlendes Lächeln zu schenken, hätte kaum größer sein können. War sie dieselbe? Das tiefe Blau des kostbaren Gewandes, das sie angelegt hatte, unterstrich die Farbe ihrer Augen. Wie gewöhnlich hatte sie darauf verzichtet, Hilfsmittel zu benutzen, da ihre Haut von Natur aus makellos weiß war. Hatte er eine solche Schönheit verdient? Diese Frage verfolgte ihn seit dem ersten Tag, an dem er sie erblickt hatte. „Ich muss dir noch etwas sagen, bevor wir hinuntergehen.“ Sie benetzte eine Fingerspitze und glättete die Augenbrauen, wobei sie ihn im Spiegel ansah. „Ich habe Cassio zu diesem Bankett eingeladen.“ Bevor er etwas erwidern konnte, fuhr sie hastig fort. „Du hast versprochen, dass du bald den ersten Schritt machen würdest. Also dachte ich, es wäre ein Zeichen deines guten Willens, ihn heute Abend einzuladen.“
     
    Die Wut, die beim Überfliegen der Nachricht aus Venedig wie eine Welle über ihm zusammengeschlagen war, sich dann allerdings langsam wieder gelegt hatte, flammte erneut auf. Wie konnte sie es wagen, über seinen Kopf hinweg solch eine Entscheidung zu treffen? Er fühlte, wie eine Vene in seiner Kehle zu pochen anfing und – zu seinem maßlosen Entsetzen – verspürte er das Verlangen, ihr Herausputzen zu einem abrupten Ende zu bringen und ihr unschuldiges Gesicht zu ohrfeigen. Er schluckte schwer, unterdrückte den Drang und nickte. „Ich weiß allerdings nicht, ob ich Gelegenheit finden werde, mich mit ihm zu unterhalten“, presste er durch zusammengebissene Zähne hervor. Beunruhigt vom Klang seiner gezwungenen Stimme, wandte sie sich um und trat auf ihn zu, wobei ihre Augen ihn mit einem forschenden Ausdruck abtasteten. „War es falsch, ihn einzuladen?“, fragte sie und legte die Hand auf seine Brust. War so viel Falschheit möglich? Konnten diese klaren Augen ihn täuschen wollen? Dieses offene Gesicht? War sie eine solch gute Schauspielerin? Langsam schüttelte er den Kopf. „Nein.“ Die Heiserkeit seiner eigenen Stimme erschreckte ihn, und er räusperte sich hastig. „Nein. Es war ein guter Einfall. Lass uns hinuntergehen.“ Mit diesen Worten bot er ihr den Arm, und sie verließen die Kammer.
     
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Zypern, eine Kammer in der Zitadelle, Juni 1571
     
    Angelina konnte unmöglich an dem Bankett teilnehmen! Das Hungergefühl hatte sich abrupt gelegt, als der Bote, den sie ins Militärquartier ihres Gemahls geschickt hatte, zurückgekehrt war. Dieser hatte sie davon in Kenntnis gesetzt, dass Francesco mit einem Sonderkommando beauftragt worden war, von dem er noch nicht zurückgekehrt war. Als sie den Burschen daraufhin mit Fragen bedrängte, schüttelte er nur den Kopf und beteuerte ihr zum wiederholten Mal, dass er keine Einzelheiten wusste. Was konnte Francesco in der Dunkelheit dort draußen zu schaffen haben? Hatte er nicht gesagt, dass die Kampfhandlungen mit Einbruch der Nacht zum Erliegen kamen? Ein heftiger Schmerz brachte sie in die Gegenwart zurück. Ohne es zu bemerken, hatte sie so fest die Fäuste geballt, dass sich ihre Fingernägel in die Handflächen gegraben hatten. Als sie die Hände öffnete, um den Schaden zu begutachten, erblickte sie vier winzige, halbmondförmige Schnitte. Wo war er? Und was, wenn ihm etwas zugestoßen war? Die Angst, die sich mit jeder weiteren Frage in ihr ausbreitete, schnürte ihr die Kehle zu. Was sollte sie anfangen, wenn dieser furchtbare Krieg ihr den einen Menschen raubte, den sie mehr liebte als ihr eigenes Leben. Mit einem gequälten Laut warf sie sich auf das Bett, das den Duft seines Körpers bewahrte, und versuchte, die furchtbaren Gedanken zu verdrängen.
     
    Lange Zeit lag sie reglos da und malte sich die furchtbarsten Dinge aus, bis irgendwann der Klang zahlloser Füße und Stimmen durch die verschlossene Tür an ihr Ohr drang. Heiteres Lachen und das Brummen von Männern vermischten sich mit dem Klang der Glocke, welche die Gäste in die Halle rief. Mit einem hohlen Gefühl in der Magengegend stemmte Angelina sich in die Höhe und fuhr sich mit den Fingern durch die zerwühlten Locken. Es hatte keinen Zweck, sich zu martern! Wenn sie nicht aufhörte, sich Dinge auszumalen, die Gott nicht zulassen würde, dann würde sie den Verstand verlieren! Missgelaunt schwang sie die Beine aus dem Bett und griff nach einem Kamm. Sie musste etwas essen. Vielleicht würde sie noch all ihre Kräfte benötigen, um mit der Nachricht zurechtzukommen, die sie

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