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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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mehr fürchtete als sonst etwas auf dieser Welt. Als die dunklen Vorahnungen erneut drohten, ihr die Kontrolle zu rauben, stieß sie eine Verwünschung aus und fuhr grob mit den Zinken durch ihr zerzaustes Haar. Dann zupfte sie ihre Röcke zurecht und warf sich ein Tuch über den Kopf. Nach einem kurzen Blick in den Spiegel, legte sie die Hand auf die Türklinke, nahm einen tiefen Atemzug und schloss sich der Menge an, die auf die Halle zuströmte.
     
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Marmarameer, an Bord eines osmanischen Schiffes, Juni 1571
     
    Wieder an Bord eines Schiffes! Obschon ihr Zustand es immer noch nicht gestattete, die geräumige, lichtdurchflutete Kabine zu verlassen, fühlte Elissa sich, als wären schwere Ketten von ihren Händen und Füßen abgefallen. Durch das Bullauge drang würzige Seeluft herein, und sie atmete tief durch. Sie ruhte auf einem breiten, mit zahllosen weichen Kissen gepolsterten Diwan – immer noch zu schwach, um länger als drei Stunden am Tag auf den Beinen zu sein. Ihr Körper fühlte sich ausgezehrt und zerbrechlich an. Doch trotz der Qualen, die sie durch die Krankheit erlitten hatte, sah sie vorwiegend das Positive an ihrem Zustand. Seit dem Tag ihrer Vergiftung war sie von Selims abstoßenden Wünschen befreit, da der Sultan mehr um das Wohlergehen seines Thronerben besorgt war als um die Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse. Elissa war sicher, dass ein anderes bemitleidenswertes Mädchen gezwungen worden war, ihren Platz einzunehmen, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass Selim dazu imstande war, seine Lust zu bezwingen.
     
    Neslihan hatte ihr mitgeteilt, dass der Beherrscher der Gläubigen, wie sie ihn nannte, überzeugt war, dass Elissa einen Sohn austrug. Nichts hätte ihr gleichgültiger sein können. Dem Kind gegenüber, das in ihrem Leib heranwuchs, empfand sie keinen Hass. Sie war daher wild entschlossen, es nicht so aufwachsen zu lassen, wie Selim es plante. Die Hoffnung, die in ihrer Brust beinahe vollkommen verwelkt war, keimte nun, da sie den unüberwindlichen Mauern des Topkapi Palastes entkommen war, wieder auf. Sie wusste nicht genau, wie schwer die Zeltstadt auf Zypern bewacht sein würde. Doch in ihrem Kopf nahmen bereits Fluchtpläne Gestalt an, die ihr die verlorene Freiheit wiedergeben würden.

Kapitel 33
     
Zypern, vor den Stadtmauern von Famagusta, Juni 1571
     
    Was war das? Rodrigo schlich die Zinnen entlang und gab vor, dazuzugehören. Seine Neugier hatte die Oberhand über die Feigheit gewonnen. Und er hatte seine Unterkunft verlassen, um herauszufinden, was in der Nähe des heiß umkämpften Ravelins vor sich ging. Das hufeisenförmige Schanzwerk diente sowohl als Hauptverteidigungsanlage für das Landtor als auch als Durchgang zu diesem. An den Flanken der Schanze führten Durchgänge, die über hölzerne Zugbrücken erreicht werden konnten, ins Herz des Ravelins, und von diesem aus war die Porta de Limassol zugänglich. Ihm waren Gerüchte zu Ohren gekommen, dass die Dinge für die Belagerten nicht besonders rosig aussahen, und er wollte sichergehen, diese verdammte Insel zu verlassen, bevor die Stadt in die Hände der Türken fiel. Plötzlich drang der Klang erregter Stimmen an sein Ohr. Verstohlen, um nicht die Aufmerksamkeit der vielen Wachen auf der Mauer auf sich zu ziehen, kroch er näher an den Rand.
     
    „Ihr werdet euch selbst in die Luft jagen!“, warnte ein junger Offizier, der gerade den Hang des Walles erklomm, eindringlich, als er sich einer Gruppe Türken näherte. Diese schienen ihn und seine Kameraden gefangen genommen zu haben. Er hatte die Hände in einer Geste der Kapitulation in die Luft erhoben, das Rapier baumelte harmlos vom Daumen der rechten Hand. Ein grimmiger osmanischer Soldat zielte mit seiner glimmenden Muskete auf ein halbausgegrabenes Fass, um das sich die Männer versammelt hatten. Er schnaubte verächtlich. „Das ist mir egal, wenn ich euch mit mir nehmen kann! Einen Feind im Jihad zu töten, bedeutet, Allah einen Schritt näher zu kommen!“ Sein Italienisch war fehlerlos. Obgleich die Szene lediglich vom milchigen Licht des Vollmondes und dem schwachen Schein der Fackeln über dem Tor beleuchtet wurde, sah Rodrigo, wie die Venezianer erbleichten. War der Mann von Sinnen? Zwar hatte Rodrigo gehört, dass die Türken sich durch ihre Waghalsigkeit, die an Leichtsinnigkeit grenzte, von ihren Feinden unterschieden. Aber das war blanker, wilder Wahnsinn!
     
    Plötzlich schien die Nacht noch heißer zu sein, als sie

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