Die Töchter der Lagune
während er sich vorsichtig dem Eingang zum Hof näherte. „Jago! Ich bin verwundet.“ Die Worte waren abgehackt – unterbrochen von schwerem Atmen. „Es ist Oberstleutnant Cassio!“, rief Jago mit gespielter Überraschung aus und rannte in den dunklen Innenhof. „Das ist einer von ihnen“, keuchte Cassio und bewegte schwach den Kopf, als das Licht von Jagos Fackel auf die ausgestreckte Gestalt des bewusstlosen Rodrigo fiel. Mit einem vorgetäuschten Wutschrei stürzte sich der Major auf den wehrlosen Mann und stach zweimal auf ihn ein, ehe Lodovico ihn mit eisernem Griff zurückhalten konnte. „Er braucht Hilfe.“ Der alte Venezianer wies auf Cassio, der die Augen geschlossen hatte – zu erschöpft, um zu sprechen. „Sein Bein!“ Der Oberstleutnant lag in einer Lache seines eigenen Blutes.
„Oh, mein Gott, Cassio!“ Bevor die drei Männer reagieren konnten, warf sich eine Dame in einem äußerst freizügigen Nachtgewand neben dem Verwundeten zu Boden und nahm seinen bleichen Kopf in die Arme. „Oh, mein Liebster“, schluchzte sie. Die Männer ignorierten sie, da sie weitaus mehr daran interessiert waren, herauszufinden, wer der Angreifer war. Als ihr Licht die bleichen Züge des Erschlagenen erhellte, rief Jago aus: „Das ist Rodrigo!“ „Was? Der Frauenheld aus Venedig?“, fragte Gratiano erstaunt und trat näher, um das Gesicht genauer zu betrachten. „Ihr habt recht“, murmelte er. „Ah“, knurrte Jago, sprang aus der kauernden Stellung auf und wirbelte herum, um Bianca anzustarren. „Du!“ Er winkte die beiden anderen näher, ehe er das schluchzende Mädchen an den Haaren von Cassio fortzog. „Du hast das mit deinem Liebhaber geplant!“ „Nein!“, heulte die Kurtisane und versuchte verzweifelt, ihr Haar aus Jagos schmerzhaftem Griff zu befreien. „Ich wusste nichts davon!“
„Ich werde eine Nachricht in die Zitadelle schicken“, verkündete Lodovico und eilte auf den Ausgang zu, um den Dottore zu rufen. „Behaltet sie im Auge.“
Kapitel 43
Zypern, die Zitadelle von Famagusta, 30. Juli 1571
„Wer ist da?“ Desdemona fuhr erschreckt aus dem Schlaf auf. Trotz all ihrer Sorgen war sie schon bald, nachdem Emilia leise die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte, eingenickt, da die Erschöpfung allmählich ihren Tribut forderte. „Christoforo?“ Die Luft roch nach einer vor Kurzem ausgeblasenen Kerze, doch ihre schlafmüden Augen konnten nichts erkennen außer pechschwarzer Finsternis. Atmete da nicht jemand? „Christoforo?“, wiederholte sie angstvoll und zog instinktiv die weiche Decke über ihre Brust. „Ja, Liebste.“ Als die Antwort endlich kam, war sie zögernd. „Kommst du ins Bett?“, fragte sie – erleichtert und wachsam zugleich – und bemühte sich, seine Umrisse auszumachen. Stoff raschelte. Der wilde Sturm, der aufgezogen war, rüttelte an den alten, an der Mauer festgezurrten Holzläden. Und als ein Blitz gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donner den Himmel erleuchtete, sah Desdemona wie seine riesenhafte Gestalt sich dem Bett näherte. „Ja, ich komme ins Bett“, sagte er in einem merkwürdigen Tonfall, bevor er sich schwer auf die Matratze fallen ließ. „Weißt du, ich habe es herausgefunden“, fuhr er mit gepresster Stimme fort und griff nach einem der Kissen. „Es herausgefunden?“, fragte sie verwirrt. Das Kind in ihrem Bauch! Emilia musste ihm verraten haben, dass sie schwanger war! Vielleicht war dies seine Art, sich zu entschuldigen. Ehe sie jedoch antworten konnte, ihm sagen konnte, wie glücklich sie darüber war, beugte er sich zu ihr hinüber, packte sie an der Kehle und drückte sie in die Kissen. „Christoforo!“, schrie sie auf – zu entsetzt, um gegen seinen grausamen Griff anzukämpfen.
„Es wird nicht wieder geschehen“, hörte sie ihn durch ein Rauschen in den Ohren sagen, das mit jedem Schlag ihres Herzens lauter und lauter wurde; bevor jedes Geräusch von einem Kissen erstickt wurde. Es presste sich mit solcher Gewalt auf ihr Gesicht, dass sie vermeinte, ihre Nase brechen zu hören. Eine Welle der Panik schlug über ihr zusammen. Sie begann, sich wie wild zu wehren und versuchte, sich von den tödlichen Daunen zu befreien, die sie langsam, aber sicher erstickten. Als ihre Finger seine Hände fanden, die das Leinen des Bezuges umklammerten, grub sie die Fingernägel in seinen Handrücken, so stark sie konnte. Ihre Füße versuchten, seinen Rücken zu erreichen. Doch mit jeder Sekunde, die ihr
Weitere Kostenlose Bücher