Die Töchter der Lagune
kneten. Wenn ihm nur nichts zustieß!
Vor einigen Wochen hatte den General die Nachricht erreicht, dass Francesco und seine Kameraden Kriegsgefangene waren. Ihre Leben würden gegen die Leben der türkischen Gefangenen, die in den alten Stallgebäuden dahinvegetierten, ausgetauscht werden. Seit sie das wusste, besuchten Angelina und der Dottore sie einmal in der Woche, und sie war froh, dass die meisten die schrecklichen Wunden überlebt hatten. Allerdings waren auch viele von ihnen an Wundbrand und Blutvergiftung zugrunde gegangen. Ihre Leichen waren in dem kleinen Hof vor den Ställen verbrannt worden, und Angelina erschauderte bei der Erinnerung an den Gestank. Warum kehrten nur immer wieder diese schrecklichen Bilder in ihren Kopf zurück? Auch wenn sie wusste, dass dieser Versuch nur kurze Ablenkung versprach, zwang sie sich dazu, sich die Gebäude ihrer Heimatstadt ins Gedächtnis zu rufen – der Stadt, in die sie schon bald mit Francesco zurückkehren würde! Die Kehle wurde ihr eng, und sie presste ärgerlich über sich selbst die Lider aufeinander.
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Zypern, Famagusta, 30. Juli 1571
„Versteckt Euch hinter dieser Säule. Er wird bald kommen“, flüsterte Jago. „Zieht Euer Schwert und rammte es ihm ins Herz, sobald er um die Ecke biegt.“ Rodrigos Gesicht schimmerte bleich im Licht der Fackeln, die sie trugen. Der Himmel über ihnen war eine wilde Wolkenlandschaft, die von dem starken Wind, der aufgekommen war, vor den Vollmond getrieben wurden. In weiter Ferne zuckten Blitze über den Horizont, und lange Zeit später folgte grollender Donner. „Ich bin direkt hinter Euch“, ermutigte Jago seinen Partner in diesem mörderischen Spiel.
Er hatte die Flamme der Eifersucht angefacht, indem er dem Einfaltspinsel erzählt hatte, dass Cassio sein einziges Hindernis auf dem Weg zu Desdemonas Herz war. Nach Christoforo Moro natürlich. Es war gleichgültig, ob Rodrigo Cassio erschlug oder Cassio ihn oder ob sie sich gegenseitig töteten. Es würde am Ende doch alles zu Jagos Vorteil sein. Sollte Rodrigo überleben, würde er sicher viel Staub aufwirbeln wegen der Juwelen, um die Jago ihn betrogen hatte. Desdemona hatte keine Einzige davon zu Gesicht bekommen. Wenn Cassio diesen Ort lebend verließ, würde Jago sein Posten nicht zufallen. Oder schlimmer noch: Christoforo Moro könnte sich mit ihm unterhalten, und die ganze Kabale, die er so kunstvoll gesponnen hatte, würde aufgedeckt. Folglich würde Jago beenden müssen, was sie anfingen. Beide mussten sterben!
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„Gute Nacht, Bianca!“ Cassio zog die schwere Tür hinter sich zu und winkte zu dem Mädchen hinauf, das sich aus dem Flügelfenster lehnte und ihm eine Kusshand zuwarf. Das Abendessen war besser verlaufen, als er zu hoffen gewagt hatte. Nach anfänglichem Stammeln war es ihm schließlich gelungen, sie davon zu überzeugen, dass es keine andere Frau in seinem Leben gab. Er hatte das gefährliche Thema einer Hochzeit nicht angeschnitten – sicher, dass es sich von selbst lösen würde, sobald dieser Krieg vorbei war. Sie konnte nicht wirklich erwarten, dass er eine Hure heiratete! „Schlaf gut.“ Er wandte dem Haus den Rücken und begann, auf die enge Gasse zuzueilen, die auf die gepflasterte Hauptstraße hinausführte. Es war Zeit, sich zur Ruhe zu begeben.
Als er in die tintigen Schatten des Gässchens eintauchte, sprang jedoch plötzlich eine dunkle Gestalt aus einem Torbogen hervor, und eine nackte Klinge sauste nur wenige Zoll vor Cassio zu Boden. Geistesgegenwärtig sprang er genau in dem Augenblick zurück, als der Degen des Angreifers die Luft an der Stelle zerschnitt, wo Sekunden vorher noch seine Brust gewesen war. „Verdammt!“, stieß der Fremde durch zusammengebissene Zähne hervor und machte augenblicklich einen zweiten Ausfall nach Cassio. Dieser zog blitzschnell das eigene Rapier aus der Scheide und parierte den gefährlichen Hieb um Haaresbreite. Gott sei Dank hatte er Biancas Angebot, von dem schweren Rotwein zu kosten, abgelehnt! Mit wild klopfendem Herzen umfasste Cassio den Schwertgriff fester und zwang den Angreifer, der kein erfahrener Kämpfer zu sein schien, sich in einem kleinen Hof zu ihrer Rechten Deckung zu suchen. Cassio folgte ihm in die vollkommene Dunkelheit des Hinterhofes, was sich jedoch als Fehler herausstellen sollte.
Der im Dunkeln wartende Rodrigo wähnte sich zunächst im Vorteil, denn die Silhouette seines Gegners zeichnete sich im Licht der
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