Die Toechter Egalias
Poetin zu sein, die je gelebt hatte. Ich finde es gut, daß sie starb, lange bevor ich geboren wurde. 4. Jämmerlich. Trist und eintönig. Ein Sklavenleben. 5. Ich kann mich überhaupt nicht dazu äußern, was ,wir‘ über die Glanzzeit wissen. In den Schulbüchern wird immer vorausgesetzt, daß ,wir‘ eine große und einstimmige Masse sind. Ich habe keine Ahnung, was andere über die Glanzzeit wissen. Ich jedenfalls weiß nichts.“
Ba las ihre Antworten mit großer Zufriedenheit noch einmal durch'. Nun hatte sie es ihm aber gegeben. Sie schrieb ihren Namen oben auf das Blatt und meldete sich.
„Fertig? Du bist schon ganz fertig, Ba?“
„Ja.“
„Hast du alles auch gründlich durchgelesen?“
„Ja.“
Herrlein Uglemose ging zu ihr hin und holte ihren Bogen. „Kann ich jetzt gehen?“ fragte Ba und war schon aufgestanden, ehe er geantwortet hatte. Eigentlich durften sie immer erst fünf Minuten vor dem Klingeln gehen. Er nickte. Ba nahm ihr Stullenpaket und steuerte auf die Tür zu. Als die anderen das sahen, griff sogleich eine allgemeine Aufbruchsstimmung um sich, obwohl erst ein Viertel der Stunde vorüber war. Die anderen lieferten ihre Arbeiten rasch nacheinander ab, und nach fünf Minuten war nur noch der kleine, mollige Fandango übrig, der tief in sich versunken weiter seine großen, runden Buchstaben malte, als gehöre die ganze Unruhe um ihn herum in eine andere Welt.
Herrlein Uglemose war mit den Antworten mächtig unzufrieden. Einen Augenblick lang hatte er daran gedacht, sie als Beweis vor Rektorin Barmerud zu benutzen, damit sie sehen konnte, daß er den Schülern einen angemessenen Unterricht erteilte. Es hatten sich nach der Episode mit dem Katheder so viele Gerüchte verbreitet. Doch die Antworten auf die Aufgaben erwiesen sich dazu als unbrauchbar. Dieses Mal wollte er sie aber nicht ungestraft davonkommen lassen. Als er eine Woche später mit den Antworten in der lachsroten Tasche in die 6B kam, sagte er: „Ihr seid mit der Klassenarbeit über alles Erwarten fabelhaft klargekommen. Freilich habe ich immer gewußt, daß die 6B besonders helle ist. Die Diskussionen, die wir gehabt haben, zeigten ja zur Genüge, wie überaus aufmerksam und wach ihr seid. Doch ich hatte nicht geglaubt, daß ihr einen historischen Stoff so selbständig behandeln könnt. Ich sage es frei heraus, wie ich es empfinde: Ich bin stolz auf euch!“
Hier machte er eine kleine Kunstpause. Die Klasse starrte ihn an, sprachlos und aufmerksam, und erwartete ungeduldig, was er noch sagen werde. Alle wußten von sich selbst, daß sie bei dem Extemporale ganz erbärmlich abgeschnitten hatten, hatten aber keine Ahnung, wie es bei den anderen war. Vielleicht zeugten die Antworten der anderen von glänzender Einsicht, nur die eigenen nicht.
„Damit die Besten von euch nicht in ihrem Wissen ersticken, werde ich euch eine der besten Arbeiten vorlesen.“
Herrlein Uglemose zog Bas Blatt hervor, las mit großer Emphase, wobei er hin und wieder zustimmend nickte, und fügte hinzu: „So ist es richtig“, ehe er fortfuhr. Die Klasse war völlig verwirrt. Sie konnten überhaupt nicht beurteilen, ob das Herrlein wirklich der Meinung war, dies sei eine ausgezeichnete Arbeit, oder ob er sie nur aus Ironie vorgelesen hatte. Als er fertig war, sagte er: „Nur eines fehlt. Wie mir scheint, haben sich nicht viele mit der Anmerkung auf Seite fünfundzwanzig beschäftigt. Auf Seite fünfundzwanzig steht eine lange Anmerkung. Da ihr den Stoff sonst ausgezeichnet befrauscht, finde ich es fast schade, daß ihr das, was in der Anmerkung steht, nicht wißt. Deshalb möchte ich euch bitten, die Seite fünfundzwanzig aufzuschlagen und den Rest der Stunde dazu zu benutzen, euch einmal durchzulesen, was da steht.“ Folgsam schlugen die Schüler sofort die Seite fünfundzwanzig auf. Keiner sprach auch nur ein Wort. Ba blätterte die Seite auch auf, ohne hochzusehen. Die Anmerkung war in kleinsten Buchstaben und dazu noch engzeilig gedruckt. Die Klasse arbeitete sich mühsam durch die winzig kleine Schrift hindurch. Dort stand zu lesen:
„In der Zeit des großen Aufstiegs war Egalia eine ausgesprochene Frauengesellschaft. Im öffentlichen Leben dominierten Frauen. Männer wurden damals als eine Art Wibschen zweiter Klasse betrachtet, und die Egalitaner der Aufstiegszeit meinten, deren wichtigste Aufgabe bestehe darin, Kinder zu zeugen. Sie lebten nicht wie bei uns heute im Haus, gleichgestellt mit den Frauen. Sie durften mit den Frauen
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