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Die Toechter Egalias

Die Toechter Egalias

Titel: Die Toechter Egalias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Brantenberg
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ebenfalls in ihre Geschichtsbücher vertieft auf dem Schulhof standen, bekam sie keine Antwort. Herrlein Uglemose hatte ein Extemporale in Geschichte angekündigt. Ba las weiter. „Felddame Siemanaricha ist eine der denkwürdigsten und faszinierendsten Gestalten in der Geschichte Egalias. Es sind uns von ihr einige Tagebuchaufzeichnungen überliefert. Sie verraten einen streng logisch-strategischen Sinn, aber gleichzeitig eine mitwibschliche Wärme und ein Gefühl für Gerechtigkeit, und das zusammen macht gerade ihre Größe aus. Hier ein Beispiel: (Quelle Nr. 15) Abends , 2. Tag. 2000...“ Ba hielt ihren Zeigefinger auf „2000“.
    „Ann, sollten wir die Quelle auch lesen?“
    „Sei doch still! Ja, jedenfalls die mit Siemanaricha.“
    „...Männer getötet. Grabrede gehalten. 300 Männer verwundet. Habe sie versorgt. Einige mit großen Schmerzen. Geopfert und zu O gebetet, sie mögen leben...“
    „Wer ist ,O‘?“
    „Wibsche, kannst du nicht die Klappe halten? Das war die, an die sie vor Donna Klara, der Allmutter, glaubten. Ihre Macht und Weisheit saß in den Brustwarzen, davon hatte die acht Stück.“
    „...Feinde über Todesklippe zurückgedrängt. Egalitanische Kräfte im Hinterhalt auf der anderen Seite.“
    „Allein dieser kleine Auszug verrät eine große und edle Gesinnung: eine Frau, die nicht nur Schlachtpläne aufzustellen verstand, sondern auch wußte, daß Krieg Opfer bedeutete. Diese Quelle gibt uns noch über einen weiteren interessanten Aspekt Auskunft, nämlich, daß wir damals im Nahkampf Männer einsetzten. Die Reiterei bestand aus Frauen, das Fußvolk aber, das voranging, aus Männern. Auf uns mag es heute brutal wirken, daß wir einst Männer in den Krieg schickten. Die Forscherinnen haben darauf hingewiesen, daß dadurch auch die Kampfmoral geschwächt worden sei. Die Ursachen sind jedoch darin zu suchen, daß Egalia damals genau wie heute mit einem bedeutenden Bevölkerungsproblem zu kämpfen hatte. Dam mußte immer dafür Sorge tragen, daß die Geburtenraten nicht sanken (vgl. S. 395).“
    „Müssen wir Seite dreihundertfünfundneunzig auch durchlesen?“
    „Quatsch. Die behandelt doch unsere Zeit. Von der sollen wir nichts lesen.“
    „Das hieß aber, dam mußte erreichen, daß die weibliche Bevölkerung sich nicht verringerte. Eine hohe Sterblichkeit bei den waffentragenden Frauen hätte sich auf die Bevölkerungsentwicklung katastrophal auswirken können. Demgegenüber hätte ein Rückgang der männlichen Bevölkerung die Höhe der Geburtenrate überhaupt nicht beeinflußt (vgl. Sozialökonomie, s. Fußnoten)...“
    „Ann, hat er gesagt, daß wir die Fußnoten lesen müssen?“
    „Nein, das ist nicht so wichtig.“
    „Verstehst du das mit dem Bevölkerungsrückgang?“
    „Klar. Hatten wir doch in Zivilisationskunde. Der Witz ist, daß es nicht zu einer schiefen Verteilung in der Jahrgangsrate kommt. Wenn wir eine kleine Geburtenrate haben, bedeutet das: Wenn die mal groß sind, gibt es von denen im Verhältnis zu den älteren zu wenig, und das heißt wiederum Mangel an jungen Arbeitskräften. Um nun allzu große Schwankungen in den Jahrgangsraten zu verhindern, müssen wir eine verhältnismäßig stabile weibliche Bevölkerung haben, wobei es nicht so sehr darauf ankommt, wie groß der männliche Bevölkerungsanteil ist... Genau dafür kämpft doch meine Mutter in der Volksburg. Kapierst du denn das nicht?“
    „Doch, aber...“, antwortete Ba, die nicht ganz mitgekommen war.
    „Als Siemanaricha siegreich von ihren großen Kriegszügen heimgekehrt war, baute sie das Reich mit großer Weitsicht und Klugheit auf. Sie war eine strenge, aber gerechte Frauscherin über das Land. Siemanaricha ließ sich vom ganzen Volk feiern und wurde zur...“
    „Rrrrrrrrr!“ Die Schulhofglocke klingelte schrill zur Stunde. „Allmächtige! Ich bin nicht durch.“
    „Ich auch nicht.“
    „Ich kann nichts.“
    „Wozu wurde Siemanaricha ernannt?“
    „Sie wurde als Prima inter pares von ganz Egalia anerkannt — also als Erste unter Gleichen — , und dann ließ sie sich zur Großdamzogin von Fallüstrien ernennen.“
    „Aber war Fallüstrien nicht ein Teil von Egalia?“
    „Nich ganz. Es war ein Teilgebiet mit gewissen Sonderregelungen; sie setzte dort eine Feudaldame ein, die dieses Teilgebiet für sie verwaltete
    Die 6 B polterte die Treppe hoch und in die Klasse hinein. Ba notierte auf ihrem Spickzettel in aller Eile die Stichworte „Prima“, „Großdamzogin“ und

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