Die Tore der Welt
gering sein, weil wir dank der zweigeteilten Brücke viel Geld
sparen.«
»Was ist auf der
anderen Seite?«
»Eine Weide der
Priorei. Wenn ich auf dem Dach von St. Mark arbeite, kann ich das ganze Gebiet
überblicken. So ist mir auch die Idee gekommen.«
Edmund war
beeindruckt. »Sehr klug! Ich frage mich, warum die Brücke nicht ursprünglich
schon hier errichtet worden ist.«
»Die erste Brücke
ist vor Hunderten von Jahren gebaut worden.
Damals hatte der
Fluss vermutlich einen anderen Lauf. Mit den Jahrhunderten verändern Flussufer
ihre Gestalt. Der Kanal zwischen der Insel und der Weide muss zu früheren Zeiten
breiter gewesen sein. Deshalb hätte es damals keinen Vorteil gebracht, die
Brücke hier zu errichten.«
Edmund spähte über
das Wasser hinweg, und Merthin folgte seinem Blick. Die Leprakolonie war eine
Ansammlung zerfallener Holzgebäude, die sich über drei oder vier Morgen Land
erstreckte.
Die Insel war zu
felsig für den Ackerbau, doch es gab ein paar Bäume und Gras. Auf Leper Island
wimmelte es von Hasen, die von abergläubischen Stadtbewohnern allerdings nicht
gegessen wurden, denn die Leute glaubten, die Tiere seien die Seelen toter
Aussätziger. Einst hatten die verstoßenen Bewohner der Insel ihre eigenen
Hühner und Schweine gehalten. Nun jedoch war es einfacher für die Priorei, den
letzten Aussätzigen mit Nahrung zu versorgen.
»Du hast recht«,
sagte Edmund. »Seit zehn Jahren schon hat es keinen Fall von Lepra mehr in der
Stadt gegeben.« Er drehte sich mit dem Rücken zum Fluss und schaute sich die
umliegenden Gebäude an. »Das bedeutet auch viel politische Arbeit«, sinnierte
er laut.
»Die Leute, deren Häuser
wir abreißen müssen, müssen davon überzeugt werden, dass es ein Glücksfall für
sie ist, in neue, bessere Wohnungen ziehen zu können, während ihre Nachbarn in
den alten Häusern bleiben müssen. Außerdem muss die Insel mit Weihwasser
gereinigt werden, damit die Leute glauben, dass der Übergang sicher ist. Aber
das werden wir schon schaffen.«
»Ich habe beide
Brücken mit Spitzbögen entworfen, wie die Kathedrale sie hat«, sagte Merthin.
»Sie werden wunderschön!«
»Zeig es mir.«
Sie verließen das
Ufer und gingen den Hügel hinauf, durch die Stadt und zur Priorei. Die
Kathedrale triefte vor Regen unter einer niedrigen trüben Wolkenschicht, die
wie Rauch von einem nassen Feuer aussah. Merthin freute sich darauf, seine
Zeichnungen wiederzusehen — seit gut einer Woche war er nicht mehr in der Modellkammer
gewesen — und sie Edmund zu erklären. Er hatte viel darüber nachgedacht, auf welche
Weise die Strömung die alte Brücke geschwächt hatte und wie man die neue vor
dem gleichen Schicksal bewahren konnte.
Merthin führte
Edmund durch das Nordportal und die Wendeltreppe hinauf. Seine feuchten Schuhe
rutschten auf den ausgetretenen Steinstufen aus. Hinter ihm zog Edmund
energisch sein verkrüppeltes Bein hinauf.
Zu Merthins
Verwunderung brannten mehrere Lampen in der Modellkammer. Dann sah er Elfric
auf dem Skizzenboden arbeiten und ballte die Fäuste.
Die Feindschaft
zwischen Merthin und seinem früheren Lehrherrn war so erbittert wie eh und je.
Elfric hatte die Leute nicht davon abhalten können, Merthin Arbeit zu geben,
doch er verhinderte noch immer Merthins Aufnahme in die Zimmermannszunft,
sodass Merthin in einer ungewöhnlichen Position war: Er arbeitete unrechtmäßig,
wurde aber allgemein akzeptiert. Deshalb war Elfrics Ablehnung sinnlos; was er
tat, geschah aus reiner Bosheit.
Dass Elfric sich in
der Modellkammer aufhielt, war ein Dämpfer für Merthin; jetzt konnte er sein
Gespräch mit Edmund nicht führen.
Zorn loderte in ihm
auf. Dann aber ermahnte er sich, nicht so empfindlich zu sein. Wahrscheinlich
war auch Elfric nicht wohl in seiner Haut.
Merthin hielt die
Tür für Edmund auf, und gemeinsam durchquerten sie den Raum bis zum
Skizzenboden.
Und dort erlebte
Merthin eine böse Überraschung: Elfric hatte sich über den Skizzenboden gebeugt
und schlug mit einem Zirkel Kreise — auf einer frischen Schicht Putz! Er hatte
den Boden neu verputzt und Merthins Zeichnungen vernichtet.
Ungläubig rief Merthin:
»Was habt Ihr getan?« Elfric schaute ihn verächtlich an und zeichnete dann
wortlos weiter.
»Er hat meine
Arbeit ausgelöscht!«, sagte Merthin zu Edmund.
»Was hast du als
Erklärung vorzubringen, Mann?«, verlangte Edmund zu wissen.
»Da gibt es nichts
zu
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