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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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erklären«, sagte Elfric. »Ein Skizzenboden wird immer wieder erneuert.«
    »Aber du hast
wichtige Entwürfe zerstört!« »Habe ich das? Der Prior hat den Jungen nicht
beauftragt, irgendwelche Entwürfe zu machen, und der Junge hat auch nicht um
Erlaubnis gebeten, den Skizzenboden benutzen zu dürfen.« Edmund war reizbar,
und Elfrics Dreistigkeit ließ ihm die Galle aufsteigen. »Sei nicht dumm«, sagte
er. »Ich habe Merthin gebeten, eine neue Brücke zu entwerfen!«
    »Einen solchen
Auftrag darf nur der Prior erteilen.« »Verdammt, der Rat bezahlt dafür!«, rief
Edmund.
    »Das Geld ist nur
geliehen, bis die Priorei es zurückzahlen kann.«
    »Trotzdem gibt es
uns das Recht, über den Brückenentwurf mit zu entscheiden.« »Ach ja? Na,
darüber wirst du mit dem Prior sprechen müssen. Ich glaube allerdings nicht,
dass es ihm gefällt, dass du dir einen unerfahrenen Lehrling ausgesucht hast.«
Merthin schaute sich die Pläne an, die Elfric in den frischen Putz gekratzt
hatte. »Ich nehme an, das ist Euer Brückenentwurf …?« »Prior Godwyn hat mich
beauftragt, die Brücke zu bauen«, erklärte Elfric.
    Edmund war
entsetzt. »Ohne uns zu fragen?« Voller Groll entgegnete Elfric: »Was ist los?
Willst du nicht, dass der Auftrag an den Gemahl deiner Tochter geht?«
»Rundbögen«, sagte Merthin, der noch immer Elfrics Zeichnung betrachtete. »Und
schmale Durchfahrten. Wie viele Pfeilerpaare habt Ihr?«
    Elfric wollte nicht
antworten, doch Edmund starrte ihn so düster an, dass erwiderwillig sagte:
»Sieben!«
    »Die Holzbrücke
hatte nur fünf!«, rief Merthin. »Warum sind sie so dick und die Durchfahrten so
schmal?«
    »Um das Gewicht
einer gepflasterten Straße tragen zu können.«
    »Dafür braucht man
keine so dicken Pfeiler. Schaut Euch die Kathedrale an: Ihre Säulen tragen das
gesamte Gewicht des Daches, doch sie sind schlank und stehen weit auseinander.«
Elfric schnaubte verächtlich. »Es fährt ja auch niemand mit einem Karren übers
Kirchendach.« »Ja, ja, aber … « Merthin hielt inne. Der Regen, der auf das
Dach der Kathedrale fiel, wog vermutlich mehr als ein mit Steinen beladener
Ochsenkarren, doch warum sollte er Elfric das erklären? Es war nicht seine
Aufgabe, einen unfähigen Baumeister zu belehren. Elfrics Entwurf war
unzureichend, doch Merthin wollte ihn nicht verbessern; er wollte seinen
eigenen Entwurf an dessen Stelle setzen, und so hielt er den Mund.
    Auch Edmund sah
ein, dass er bloß seinen Atem verschwendete.
    »Diese Entscheidung
werdet nicht ihr beide treffen«, sagte er und humpelte davon.
     
    John Constables
kleine Tochter wurde in der Kathedrale von Prior Godwyn selbst getauft. Diese
Ehre wurde John deshalb zuteil, weil er ein wichtiger Bediensteter des Klosters
war. Alle führenden Bürger der Stadt nahmen an der Zeremonie teil. Obwohl John
weder wohlhabend war noch gute Verbindungen besaß — sein Vater hatte in den
Ställen der Priorei gearbeitet —, erklärte Petronilla, dass ehrenwerte Leute
darauf achten müssten, John Respekt zu erweisen und ihn zu unterstützen. Caris
vermutete, dass die Reichen John auf diese Art ehrten, weil sie ihn zum Schutz
ihrer Besitztümer brauchten.
    Es regnete schon
wieder, und die Leute um den Taufstein waren nasser als das Kleinkind, das mit
Weihwasser bespritzt wurde. Als Caris das kleine, hilflose Baby sah, regten
sich seltsame Gefühle in ihr. Seit sie bei Merthin gelegen hatte, hatte sie
immer wieder den Gedanken an eine Schwangerschaft beiseite geschoben; dennoch
weckte der Anblick des Säuglings Schutzgefühle in ihr.
    Das Kind hieß
Jesca, nach Abrahams Nichte.
    Caris‘ Vetter
Godwyn hatte sich in Gegenwart kleiner Kinder nie wohlgefühlt, und kaum war das
Ritual vorbei, wandte er sich zum Gehen. Doch Petronilla packte ihn am Ärmel
seines Benediktinergewands. »Was ist mit der Brücke?«, wollte sie wissen.
    Sie sprach mit
leiser Stimme, doch Caris hörte es und beschloss, sich auch den Rest des
Gesprächs anzuhören.
    Godwyn antwortete:
»Ich habe Elfric gebeten, Entwürfe anzufertigen und die Kosten zu berechnen.«
    »Gut. Wir sollten die
Sache in der Familie behalten.« »Elfric ist der Baumeister der Priorei.«
»Andere Leute werden auch noch mitmischen wollen.« »Ich entscheide, wer die
Brücke baut.« Caris ärgerte sich so sehr, dass sie sich einmischte: »Wie kannst
du es wagen …?«, sagte sie zu Petronilla.
    »Ich habe nicht mit
dir gesprochen«, erwiderte

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