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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ihre Tante kalt.
    Caris beachtete sie
nicht. »Warum sollte Merthins Entwurf nicht auch in Betracht gezogen werden?«
    »Weil er nicht zur
Familie gehört.«
    »Er wohnt bei uns!«
    »Aber du bist nicht
mit ihm verheiratet. In dem Fall wäre es vielleicht anders.«
    Caris wusste, dass
sie in diesem Punkt im Nachteil war; also versuchte sie es auf andere Weise:
»Du hattest immer schon Vorurteile gegen Merthin, aber jeder weiß, dass er ein
besserer Baumeister ist als Elfric.«
    Nun mischte Caris‘
Schwester Alice sich ebenfalls in die Diskussion ein. »Elfric hat Merthin alles
beigebracht, was er weiß, und nun tut Merthin so, als wüsste er es besser!«
    Caris wurde richtig
wütend. »Und wer hat die Fähre gebaut?«, fragte sie und hob die Stimme. »Wer
hat das Dach von St. Mark repariert?«
    »Merthin hat noch
mit Elfric gearbeitet, als er die Fähre gebaut hat, und was St. Mark betrifft,
so hat niemand Elfric gefragt.«
    »Weil jeder gewusst
hat, dass er das Problem niemals hätte lösen können!« Godwyn unterbrach die
beiden Frauen. »Bitte!«, sagte er und hob beschwichtigend die Hände. »Ich weiß,
dass ihr meine Familie seid, aber ich bin der Prior, und dies ist die
Kathedrale. Ich kann mich nicht in der Öffentlichkeit von Frauen zurechtweisen
lassen.« Edmund schloss sich dem Kreis an. »Genau das hab ich auch sagen
wollen. Haltet euch gefälligst zurück!« Alice sagte vorwurfsvoll: »Du solltest
deinen Schwiegersohn unterstützen.« Alice wurde mehr und mehr wie Petronilla,
überlegte Caris. Obwohl sie erst einundzwanzig war und Petronilla mehr als
doppelt so alt, hatte Alice schon den gleichen säuerlichen Gesichtsausdruck.
Auch wurde sie immer üppiger; ihr Busen blähte ihr Kleid wie der Wind die Segel.
    Edmund blickte
Alice streng an. »Diese Entscheidung wird nicht auf der Grundlage familiärer
Beziehungen getroffen«, sagte er.
    »Dass Elfric mit
meiner Tochter verheiratet ist, wird die Brücke auch nicht aufrecht halten.«
    Edmund hatte eine
feste Meinung zu diesem Thema; das wusste Caris. Er glaubte, dass man nur mit
den zuverlässigsten Lieferanten Geschäfte machen dürfe und dass man immer den
besten Mann für eine Arbeit einstellen müsse, ungeachtet irgendwelcher Freundschaften
oder familiärer Beziehungen. »Jeder, der sich mit treuen Akolythen umgeben
muss, glaubt nicht an sich selbst«, pflegte er zu sagen, »und wenn jemand nicht
an sich selbst glaubt, warum sollte ich es dann tun?«
    Petronilla fragte:
»Wie soll denn nun entschieden werden?« Sie warf Edmund einen Blick von der
Seite zu. »Offensichtlich hast du ja schon einen Plan.«
    »Die Priorei und
der Rat werden Elfrics und Merthins Entwürfe vergleichen — und jeden anderen,
der ihnen vorgelegt wird«, erklärte Edmund entschlossen. »Alle Entwürfe müssen
gezeichnet und die Kosten aufgelistet sein. Die Kostenrechnungen werden dann
von anderen Baumeistern überprüft.«
    Alice meinte: »Von
einem solchen Verfahren habe ich noch nie gehört. Das ist ja wie ein
Schießwettbewerb. Elfric ist der Baumeister der Priorei; also sollte er den
Auftrag auch bekommen.«
    Ihr Vater beachtete
sie nicht. »Zu guter Letzt werden die Baumeister von den führenden Bürgern der
Stadt bei einer Ratsversammlung befragt. Und dann … « Er schaute zu Godwyn,
der sich seine Verwirrung, dass sein Onkel ihm die Entscheidung aus der Hand genommen
hatte, nicht anmerken ließ. »Und dann wird Prior Godwyn seine Wahl treffen.«
     
    Die Versammlung
fand in der Ratshalle an der Hauptstraße statt.
    Die Halle hatte ein
steinernes Gewölbe unter einer Holzkonstruktion mit Schindeldach und zwei
gemauerte Kamine. Im Keller befand sich eine große Küche, in der bei einem
Bankett das Essen vorbereitet wurde; außerdem gab es ein Gefängnis und eine
Schreibstube für den Büttel. Das Hauptgeschoss war so geräumig wie eine Kirche,
hundert Fuß lang und dreißig Fuß breit. An einem Ende befand sich eine Kapelle.
Wegen seiner Breite — und weil Balken für ein dreißig Fuß langes Dach rar und
teuer waren — wurde der Raum von einer hölzernen Säulenreihe unterteilt, die
ihrerseits die Querbalken stützten.
    Die Ratshalle war ein
bescheidenes Gebäude aus den gleichen Materialien wie die schlichtesten
Behausungen und gereichte niemandem zur Ehre. Doch wie Edmund häufig sagte, von
dem Geld der Leute, die hier zusammenkamen, wurden die prachtvollen
Buntglasfenster der Kathedrale bezahlt. Außerdem war

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