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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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die Ratshalle auf ihre
schlichte Art überaus bequem. An den Wänden hingen Wandteppiche; die Fenster
hatten Glas, und zwei große Feuerstellen sorgten im Winter für Wärme. Wenn das
Geschäft florierte, wurden hier Speisen serviert, die der Tafel eines Königs
würdig gewesen wären.
    Der Gemeinderat war
vor langer Zeit gebildet worden, als Kingsbridge noch ein kleiner Ort gewesen
war. Ein paar Kaufleute hatten sich damals zusammengetan, um schöne Dinge zu
erwerben, mit denen die Kathedrale ausgeschmückt werden sollte; doch wenn
wohlhabende Männer gemeinsam essen und trinken, ist es unvermeidlich, dass sie
auch über andere Fragen von allgemeiner Wichtigkeit diskutieren, und so rückte
bald die Politik in den Vordergrund. Von Beginn an wurde der Rat von den
Wollhändlern beherrscht, weshalb auch eine große Waage mit einem Standardgewicht
für Wollsäcke — 364 Pfund — am Ende der Halle stand. Als Kingsbridge größer
wurde, bildeten sich Handwerkszünfte — die der Zimmerleute, Steinmetze, Brauer
und Goldschmiede —, doch ihre führenden Mitglieder gehörten ebenfalls dem
Gemeinderat an, weshalb dieser seine herausragende Stellung behielt. Er war
eine nicht ganz so mächtige Version der Kaufmannsgilden, von denen die meisten
englischen Städte beherrscht wurden. Hier aber war das nicht möglich, da die
Priorei von Kingsbridge stets das letzte Wort hatte.
    Merthin hatte nie
an einer Versammlung oder einem Bankett in der Ratshalle teilgenommen, war aber
schon mehrmals hier gewesen, weil es irgendetwas zu erledigen gab. Es gefiel
ihm, den Hals zu recken und das komplizierte Gitterwerk der Dachbalken zu studieren:
Es war ein Musterbeispiel dafür, wie ein paar schlanke Holzpfeiler das Gewicht
eines ganzen Daches tragen konnten. Bei den meisten Bauteilen leuchtete deren Sinn
und Zweck sogleich ein, doch einige Stücke kamen Merthin überflüssig, sogar
abträglich vor, verteilten sie doch Gewicht auf schwächere Teile der
Konstruktion.
    Das kam daher, weil
niemand wirklich wusste, warum Gebäude eigentlich stehen blieben. Baumeister
verließen sich auf ihre Nase und auf ihre Erfahrung, und manchmal erwies sich
beides als trügerisch.
    An diesem Abend jedoch
war Merthin viel zu aufgeregt, als dass er die Holzkonstruktion mit Sinn und
Verstand betrachtet hätte.
    Heute würde der
Gemeinderat seine Entscheidung über die Brückenentwürfe fällen. Merthins
Entwurf war dem Elfrics weit überlegen — aber würden die Ratsmitglieder das
auch erkennen?
    Elfric hatte den
Vorteil, dass er den Skizzenboden benutzen konnte. Natürlich hätte Merthin
Prior Godwyn bitten können, den Skizzenboden auch ihm zur Verfügung zu stellen,
doch er hatte zu viel Angst davor gehabt, dass Elfric seine Pläne durchkreuzen
würde; deshalb hatte er sich eine andere Möglichkeit ausgedacht: Merthin hatte
ein großes Stück Pergament auf einen Holzrahmen gespannt. Darauf hatte er dann
mit Feder und Tinte seinen Plan gezeichnet. Heute würde ihm das vielleicht zum
Vorteil gereichen, denn er hatte seinen Entwurf mit in die Ratshalle gebracht,
sodass die Ratsmitglieder ihn vor sich hatten, während sie bei Elfrics Entwurf
auf ihr Erinnerungsvermögen zurückgreifen mussten.
    Merthin stellte die
Zeichnung vorne in der Halle auf einen dreibeinigen Ständer, den er nur zu
diesem Zweck entworfen hatte. Alle schauten sich bei ihrer Ankunft die Zeichnung
an, obwohl sie diese im Laufe der letzten Tage schon gesehen hatten. Auch waren
sie die Wendeltreppe zur Modellkammer hinauf gestiegen und hatten sich Elfrics
Entwurf angesehen. Merthin glaubte, dass die meisten seinen Plan bevorzugten;
einige jedoch waren misstrauisch und wollten keinen Jüngling einem erfahrenen
Mann vorziehen. Doch viele behielten ihre Meinung für sich.
    Der Lärmpegel
stieg, je mehr die Halle sich mit Männern und auch ein paar Frauen füllte. Die
Leute kleideten sich für eine Ratsversammlung genauso schmuck wie für den
Kirchgang: Die Männer trugen trotz des milden Sommerwetters teure Wollmäntel
und die Frauen aufwendige Kopfputze. Obwohl alle Lippenbekenntnisse abgaben,
was die allgemeine Minderwertigkeit von Frauen betraf, waren mehrere der
wohlhabendsten und wichtigsten Bürger der Stadt weiblich. Da war zum Beispiel
Mutter Cecilia, die vor ihrer persönlichen Gehilfin saß, einer Frau, die man
die »alte Julie« nannte. Und von Caris wusste jedermann, dass sie Edmunds
rechte Hand war. Als Caris sich nun auf

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