Die Tore der Welt
Anstatt
sie vom Boden bis hinauf zu jener Stelle zu bauen, an der die Arbeiten
verrichtet werden mussten, machten sie die Balken an bereits bestehenden
Gebäudeteilen fest, um die Gerüste möglichst klein und den Aufwand an Holz
gering zu halten.
Während Merthin
nachdachte, kam Griselda in die Küche und füllte sich einen Becher Bier aus dem
Fass. »Möchtest du auch?«, fragte sie. Merthin nickte. Die Höflichkeit
Griseldas überraschte ihn — und sie erstaunte ihn noch mehr, als sie sich zum
Trinken neben ihn auf einen Hocker setzte.
Griseldas Liebster,
Thurstan, war vor drei Wochen verschwunden. Ohne Zweifel fühlte sie sich nun
einsam, weshalb sie wohl auch Merthins Gesellschaft suchte. Das Bier tat seine
Wirkung; vom Magen her breitete sich wohlige, entspannende Wärme in seinem Körper
aus. Da er nicht wusste, was er sonst sagen sollte, fragte er:
»Was ist mit
Thurstan passiert?«
Griselda warf den
Kopf zurück wie eine ausgelassene Stute. »Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn
nicht heiraten will.«
»Warum nicht?«
»Er ist zu jung für
mich.«
Das klang in
Merthins Ohren nicht wirklich überzeugend. Thurstan war siebzehn, Griselda
zwanzig, doch wirklich reif war sie noch nicht. Wahrscheinlich, überlegte
Merthin, war Thurstan von zu niedrigem Stand. Vor ein paar Jahren war er aus
dem Nirgendwo in Kingsbridge aufgetaucht und hatte als ungelernte Hilfskraft
für verschiedene Handwerker in der Stadt gearbeitet. Vermutlich waren ihm
Kingsbridge oder Griselda einfach zu langweilig geworden, und so war er
weitergezogen.
»Wo ist er hin?«
»Weiß ich nicht.
Ist mir auch egal. Ich sollte einen Mann in meinem Alter heiraten, jemanden mit
Verantwortungsgefühl … vielleicht einen Mann, der einmal das Geschäft meines
Vaters übernehmen könnte.«
Merthin fragte
sich, ob sie ihn damit meinte. Nein. Sicher nicht.
Sie hatte immer auf
ihn herabgeschaut. Dann aber erhob Griselda sich von ihrem Hocker und setzte
sich auf die Bank neben ihn.
»Mein Vater
behandelt dich schlecht«, sagte sie. »Das habe ich immer schon gedacht.«
Merthin war
erstaunt. »Na, dann hat es ja lange genug gedauert, bis du´s mal aussprichst —
ich wohne hier schon seit sechseinhalb Jahren.«
»Es fällt mir
schwer, mich gegen meine Familie zu stellen.«
»Warum ist dein
Vater überhaupt so gemein zu mir?« »Weil du glaubst, alles besser zu wissen als
er, und das lässt du ihn spüren.«
»Vielleicht hab ich
ja recht und weiß es wirklich besser.« »Siehst du, was ich meine?«
Merthin lachte. Es
war das erste Mal, dass Griselda ihn zum Lachen gebracht hatte.
Griselda rückte
näher an ihn heran, bis ihr Schenkel unter dem Wollkleid sich an seinem rieb.
Merthin trug sein zerschlissenes Leinenhemd, das ihm bis zu den Knien reichte,
und darunter eine Unterhose wie alle Männer; dennoch konnte er die Wärme ihres
Leibes durch den Stoff hindurch spüren. Was ging hier vor sich? Merthin schaute
Griselda ungläubig an.
Sie besaß
glänzendes dunkles Haar und braune Augen, und ihr fleischiges Gesicht war auf
gewisse Art sogar anziehend. Und sie hatte einen schönen Mund zum Küssen.
Sie sagte: »Ich mag
es, bei einem Regenschauer drinnen zu sitzen. Das ist so gemütlich.«
Merthin spürte, wie
Erregung ihn erfasste, und wandte sich von ihr ab. Was würde Caris denken, wenn
sie jetzt hereinkäme?
Merthin versuchte,
sein Verlangen zu unterdrücken, doch das machte alles nur noch schlimmer.
Er drehte sich
wieder zu Griselda um. Ihr Mund war leicht geöffnet, die Lippen schimmerten
feucht. Sie beugte sich zu ihm. Er küsste sie. Sofort stieß sie ihre Zunge in
seinen Mund. Es war eine plötzliche, erschreckende Vertrautheit, die Merthin
erregte, und er erwiderte ihren Kuss. Aber das war nicht so, wie Caris zu
küssen …
Dieser Gedanke ließ
ihn erstarren. Er riss sich von Griselda los und stand auf.
»Was ist?«, fragte
sie.
Merthin wollte ihr
nicht die Wahrheit sagen; also antwortete er: »So warst du noch nie zu mir.«
Sie schaute
verärgert drein. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich auf die Seite meines
Vaters stellen musste.«
»Du hast deine
Meinung ja ziemlich plötzlich geändert.« Griselda stand auf und kam auf ihn zu.
Merthin wich zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Griselda nahm
seine Hand und drückte sie auf ihre Brust. Ihr praller Busen war weich und
schwer, und Merthin konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn zu
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