Die Tore der Welt
… «
»Ich hoffe, Ihr
habt recht«, sagte Buonaventura. »Aber wie die Dinge stehen, hält meine Familie
es nicht länger für nötig, dass ich in diesem Teil des Landes zwei Wollmärkte
besuche.«
»Vollkommen
richtig!«, sagte Edmund. »Kommt hierher, und vergesst den Markt in Shiring.«
Die Stadt Shiring
war ungefähr so groß wie Kingsbridge und lag zwei Tagesreisen entfernt. Shiring
besaß zwar weder eine Kathedrale noch ein Kloster, dafür befand sich dort die
Burg des Sheriffs sowie das Grafschaftsgericht. Einmal im Jahr fand auch in
Shiring ein Wollmarkt statt, der mit dem in Kingsbridge konkurrierte.
»Ich fürchte, ein
so breites Angebot wie in Shiring kann ich hier nicht finden. Wisst Ihr, der
Wollmarkt von Kingsbridge scheint sich auf dem absteigenden Ast zu befinden.
Immer mehr Verkäufer gehen nach Shiring. Auf dem dortigen Markt finden sich
viel mehr unterschiedliche Arten und Qualitäten von Wolle.«
Caris war entsetzt.
Das könnte sich als Katastrophe für ihren Vater erweisen. Sie warf ein: »Aber
warum sollten die Verkäufer Shiring vorziehen?«
Buonaventura zuckte
mit den Schultern. »Die Ratsherren dort haben den Markt sehr attraktiv
gestaltet. Es gibt keine langen Schlangen vor den Toren; die Händler können
Zelte und Stände mieten; es gibt sogar ein eigenes Gebäude für die Wollbörse,
wo jedermann trockenen Fußes Geschäfte machen kann, wenn es so regnet wie
jetzt… «
»Das alles könnten
wir auch hier«, sagte Caris.
Ihr Vater schnaubte
verächtlich. »Wenn es nur so wäre!«
»Warum sollte das
nicht möglich sein, Vater?« »Shiring ist eine unabhängige Burgstadt, deren
Freiheit durch ein königliches Dekret verbrieft ist. Die Kaufmannsgilde dort
besitzt die Macht, alles zum Wohle der Wollhändler zu tun. Kingsbridge jedoch
gehört der Priorei…« Petronilla warf ein: »Zum Ruhme Gottes.« »Ohne Zweifel«,
sagte Edmund. »Aber ohne Zustimmung der Priorei kann unser Gemeinderat nichts
tun … und Prioren sind vorsichtige und zurückhaltende Leute; mein Bruder
bildet da keine Ausnahme. Mit dem Ergebnis, dass die meisten Verbesserungspläne
abgelehnt werden.«
Buonaventura fuhr
fort: »Aufgrund der langen Beziehung meiner Familie zu Euch, Edmund, und zuvor
zu Eurem Vater, sind wir weiterhin nach Kingsbridge gekommen, doch in schweren
Zeiten wie diesen können wir uns keine Gefühle leisten.« »Dann lasst mich Euch
um unserer langen Beziehung willen um einen kleinen Gefallen bitten«, sagte
Edmund. »Trefft noch keine endgültige Entscheidung.
Bleibt offen für
alles.« Das war klug, dachte Caris. Wie so oft musste sie staunen, wie gerissen
ihr Vater bei einer Verhandlung sein konnte. Er verlangte nicht, dass
Buonaventura seine Entscheidung rückgängig machte, denn damit hätten sich die
Positionen nur verhärtet. Doch immerhin war damit zu rechnen, dass der
Italiener sich darauf einlassen würde, seine Entscheidung nicht als endgültig
zu deklarieren. Schließlich verpflichtete er sich damit zu nichts, hielt sich
aber eine Hintertür offen.
Buonaventura fiel
es in der Tat schwer, sich zu verweigern. »Na gut… aber mit welchem Ziel?«
»Ich möchte die
Gelegenheit bekommen, den Markt wieder attraktiver zu gestalten. Vor allem um
die Brücke müssen wir uns kümmern«, antwortete Edmund. »Wenn es uns hier in
Kingsbridge gelingt, bessere Örtlichkeiten anzubieten als in Shiring und mehr
Händler anzuziehen, würdet Ihr doch zu uns kommen, nicht wahr?«
»Natürlich.«
»Dann müssen wir
zur Tat schreiten.« Er stand auf. »Ich werde auf der Stelle zu meinem Bruder
gehen. Caris, komm mit. Wir werden ihm die Warteschlange an der Brücke zeigen.
Nein, warte, Caris…
Geh und hol deinen
klugen jungen Baumeister, diesen Merthin.
Wir könnten sein
Wissen brauchen.« »Aber er wird bei der Arbeit sein.«
Petronilla sagte:
»Dann sag seinem Meister, dass der Älteste des Gemeinderats den Jungen sehen
will.« Petronilla war stolz darauf, dass ihr Bruder Ratsältester war, und
erwähnte es bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Aber sie hatte
recht: Elfric würde Merthin gehen lassen müssen.
»Ich gehe ihn
suchen«, sagte Caris.
Sie zog sich einen
Kapuzenmantel über und ging hinaus. Es regnete noch immer, wenn auch nicht mehr
so heftig wie am Tag zuvor. Wie die meisten führenden Bürger wohnte auch Elfric
an der Hauptstraße, die von der Brücke bis zu den Toren der Priorei führte.
Die breite Straße
war
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