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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Städte konnte man kaum
Geschäfte machen: Bauern bauten ihre Häuser selbst und nähten ihre eigenen
Hemden.
    Am Ende der Lehrzeit
blieben die meisten Jungen bei ihren Meistern und arbeiteten fortan als Geselle
für Lohn. Manche wurden Teilhaber und übernahmen nach dem Tod des alten
Meisters dessen Betrieb. Ein solches Schicksal würde Merthin jedoch nicht
teilen. Dafür hasste er Elfric viel zu sehr. Er würde gehen, sobald er konnte.
    »Sehen wir uns die
Sache mal von oben an«, sagte Godwyn. Sie begaben sich zum Ostende der
Kathedrale. Elfric sagte: »Es ist schön, dass Ihr wieder aus Oxford zurück
seid, Bruder Godwyn.
    Aber sicherlich vermisst
Ihr die Gesellschaft all dieser gelehrten Männer.« Godwyn nickte. »Die Magister
dort sind in der Tat sehr gebildet.« »Und die anderen Studenten … Ich nehme
an, dass sie allesamt bemerkenswerte junge Männer sind. Allerdings hören wir
hier auch Geschichten von sündhaftem Treiben.« Godwyn schaute reumütig drein.
»Ich fürchte, einige dieser Geschichten entsprechen der Wahrheit. Wenn ein junger
Priester oder Mönch zum ersten Mal von zu Hause fort ist, kann er durchaus der
Versuchung erliegen.«
    »Trotzdem … Wir
können uns wahrhaft glücklich schätzen, hier in Kingsbridge gelehrte Männer wie
Euch zu wissen, die an der Universität studiert haben!« »Das ist sehr
freundlich von Euch.«
    »Oh, es ist nichts
als die reine Wahrheit!« Merthin hätte am liebsten gerufen: »Um Himmels willen,
halt dein Maul!« Doch Kriechen und Schleimen war nun einmal Elfrics Natur. Er
war kein besonders guter Handwerker; seine Arbeit war oft schlampig und sein
Urteil schief, doch er verstand es, sich bei anderen einzuschmeicheln. Merthin
hatte es immer wieder erlebt. Konnte jemand ihm von Nutzen sein, strich Elfric
ihm um den Bart; war jemand ohne Bedeutung für ihn, war er unfreundlich und
grob.
    Umso mehr war
Merthin von Godwyn überrascht. Wie konnte es sein, dass ein so kluger und gebildeter
Mann einen Heuchler wie Elfric nicht durchschaute? Aber vielleicht war
Heuchelei für denjenigen, der das Ziel des Schmeichelns war, nicht so
offensichtlich.
    Godwyn öffnete eine
kleine Tür und führte die Gruppe eine schmale, in der Wand verborgene Wendeltreppe
hinauf. Merthin schlug das Herz höher. Er liebte die versteckten Gänge der
Kathedrale. Zudem war er neugierig, was den dramatischen Einsturz betraf, und
begierig darauf, den Grund dafür herauszufinden.
    Auch die Decken der
einstöckigen Seitenschiffe waren Kreuzgewölbe. Über dem Gewölbe verlief ein
Pultdach vom äußeren Rand des Seitenschiffs bis zur Basis der Gewölbedecke des
Binnenchores.
    Unter dem Dach
befand sich ein dreieckiger Raum, dessen Boden der Gewölberücken bildete. Die
vier Männer stiegen in diesen Raum hinein, um den Schaden von oben zu
begutachten.
    Licht fiel durch
Fenster, die sich auf die Empore im Kircheninneren hin öffneten; überdies hatte
Thomas die Weitsicht besessen, eine Öllampe mitzunehmen. Als Erstes fiel
Merthin auf, dass die Gewölbe von oben betrachtet nicht in jedem Joch gleich
aussahen:
    Das östlichste
Gewölbe war ein wenig flacher als das daneben, und auch das nächste, teilweise
zerstörte Gewölbe unterschied sich von den anderen.
    Die Männer gingen
an den Gewölberücken entlang und hielten sich dabei dicht am Rand, wo das
Gewölbe am stärksten war, bis sie der Einsturzstelle so nahe gekommen waren,
wie sie es wagten. Das Gewölbe bestand aus Steinmauerwerk, so wie die gesamte
Kathedrale, nur dass die Deckensteine sehr dünn und leicht waren. An der
Kämpferlinie, der Basis des Gewölbebogens, war das Gemäuer fast lotrecht; doch
je weiter es nach oben ging, desto mehr neigte die Konstruktion sich nach
innen, bis die Seiten sich in der Mitte trafen.
    Elfric sagte: »Nun,
offensichtlich müssen wir als erstes die Gewölbe über den ersten beiden Jochen
des Seitenschiffs wiederherrichten.«
    Bruder Thomas
bemerkte: »Es ist lange her, seit in Kingsbridge jemand zum letzten Mal ein
Rippengewölbe gebaut hat.« Er wandte sich an Merthin. »Könntest du die
Verschalung machen?«
    Merthin wusste, was
der Matricularius meinte. Am Rand des Gewölbes, wo das Mauerwerk beinahe
senkrecht war, wurden die Steine von ihrem eigenen Gewicht an Ort und Stelle
gehalten; doch weiter oben, wo es immer mehr in die Horizontale überging, war
eine Stützkonstruktion vonnöten, die so lange stehen blieb, bis der Mörtel
getrocknet

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