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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Caris‘ Schätzungen war fast die Hälfte der
Bevölkerung dahingerafft worden. Als Folge davon bestellten die verbliebenen
Bauern nur das fruchtbarste Land, sodass jeder einzelne mehr erzeugte als
früher. Trotz der Arbeitsverordnung und der Bemühungen von Adligen wie Graf
Ralph, sie durchzusetzen, beobachtete Caris, dass es die Menschen dennoch
dorthin zog, wo sie den höchsten Lohn bekamen, und das waren gewöhnlich die
Güter mit dem besten Land. Korn stand überreichlich zur Verfügung, und die Kuh- und Schafherden nahmen an Kopfzahl wieder zu. Das Nonnenkloster gedieh, und
weil Caris nach Godwyns Flucht die Angelegenheiten des Mönchsklosters neu
geordnet hatte, war Letzteres nun so wohlhabend wie seit hundert Jahren nicht
mehr. Reichtum erzeugte Reichtum, und gute Zeiten auf dem Land führten zu
besseren Geschäften in den Städten, sodass die Kingsbridger Handwerker und
Ladenbesitzer allmählich zu ihrem früheren Wohlstand zurückfanden.
    Als die Nonnen nach
der Messe die Kirche verließen, wurde Caris von Prior Philemon angesprochen.
»Ich muss mit Euch sprechen, Mutter Priorin. In meinem Haus.«
    Früher einmal hätte
sie solch einer Bitte ohne Zögern höflich zugestimmt, doch diese Tage waren
vorüber. »Ich lasse mir von Euch nichts vorschreiben«, erwiderte sie.
    Er lief sofort rot
an. »Ihr könnt mir ein Gespräch nicht verweigern!« »Das habe ich nicht getan.
Ich weigere mich nur, Euren Palast zu betreten. Ich lehne es ab, mich wie eine
Untergebene herbeizitieren zu lassen. Weshalb wollt Ihr mich sprechen?« »Wegen
des Hospitals. Es gab Beschwerden.« »Redet mit Bruder Sime — er leitet es, wie
Ihr wohl wisst.« »Kann man mit Euch denn nicht vernünftig diskutieren?«, fragte
er aufgebracht. »Wenn Sime die Probleme bereinigen könnte, würde ich mit ihm
reden und nicht mit Euch.« Mittlerweile waren sie im Kreuzgang des Mönchsklosters.
    Caris setzte sich
auf die niedrige Mauer, die das Geviert umgab. Der Stein war kalt. »Wir können
hier reden. Was habt Ihr mir zu sagen?« Philemon ärgerte sich, aber er gab
nach. Wie er vor ihr stand, war er es nun, der wie ein Untergebener aussah.
»Die Städter sind mit dem Hospital nicht zufrieden«, sagte er.
    »Das überrascht
mich keineswegs.«
    »Merthin hat sich
beim Weihnachtsmahl des Rates bei mir beschwert. Die Leute kommen nicht mehr
hierher, sondern gehen zu Quacksalbern wie Silas Pothecary.«
    »Wenn hier einer
ein Quacksalber ist, dann Sime.« Philemon bemerkte, dass mehrere Novizen in der
Nähe standen und den Disput mithörten. »Weg mit euch allen«, sagte er. »Habt
ihr nichts zu tun?« Sie huschten davon.
    Philemon wandte
sich wieder Caris zu. »Die Städter sind der Meinung, Ihr solltet im Hospital
arbeiten.«
    »Der Meinung bin
ich auch. Ich werde mich aber nicht an Simes Methoden halten. Seine
Behandlungen richten bestenfalls keinen Schaden an. Viel öfter geht es den
Kranken danach schlechter. Deshalb kommen die Leute nicht mehr hierher, wenn
ihnen etwas fehlt.«
    »In Eurem neuen
Hospital sind so wenige Kranke, dass wir darin Gäste beherbergen. Stört Euch
das nicht?«
    Der Stich traf sie.
Caris schluckte und sah weg. »Es bricht mir das Herz«, sagte sie leise.
    »Dann kommt zurück.
Früher, als Ihr im Hospital gearbeitet habt, hat es auch Mönchsärzte gegeben.
Bruder Joseph war der angesehenste unter ihnen. Er hatte die gleiche Ausbildung
wie Sime.«
    »Da habt Ihr recht.
Schon damals fanden wir, dass die Mönche mehr Schaden anrichteten, als sie
Gutes taten, aber wir kamen mit ihnen zurecht. Meist riefen wir sie gar nicht
erst, sondern taten, was wir für das Beste hielten. Wenn sie doch zugegen
waren, hielten wir uns nicht immer genau an ihre Anweisungen.«
    »Ihr könnt doch
nicht ernsthaft glauben, dass sie sich immer irrten.« »Nein. Manchmal haben sie
Menschen geheilt. Ich erinnere mich, wie Joseph den Schädel eines Mannes öffnete
und angesammelte Flüssigkeit entfernte, die dem Kranken unerträgliche Kopfschmerzen
bereitet hatte — das war sehr beeindruckend.« »Da seht Ihr‘s. Warum könnt Ihr
nicht mit den Ärzten zusammenarbeiten, so wie damals.« »Das ist nicht mehr
möglich. Dafür hat Bruder Sime gesorgt. Er hat seine Bücher und seine
Instrumente in die Apotheke geschafft und allein die Leitung des Hospitals
übernommen. Ich bin sicher, dass Ihr ihn dazu ermutigt habt. Vermutlich war es
sogar von Anfang an Eure Idee.« Sie sah Philemon am Gesicht

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